Home

Bücher

Texte

Radio

Kommentar

Rezensionen

Schublade

Blog

Bilder

Links

 

 

Kontakt /
Impressum

 

 

 

Dieser Text als PDF-Datei

Rette mich, wer kann

Der grüne Kapitalismus ist eine Schimäre. Statt der Klimabewegung unverlangt Stilberatung und Geschichten von ganz früher anzubieten, sollten Linke begreifen, dass uns ein epochaler Bruch bevorsteht.

(Januar 2020)

Was die Rechten hassen, kann nicht ganz verkehrt sein. So ungefähr lautet das dürre Ergebnis von „Klimastreik und Counterstrike“ (11/2019) zu Fridays for Future (FfF), mühsam gefiltert aus Adorno-Sprech und Stilberatung anhand der „Bewegungsäshetik“. Extinction Rebellion (XR) kommt weniger glimpflich weg. Die „spirituelle Endzeit-Sekte“ (Autorin Jutta Ditfurth in FR und FAZ) führt die jungen Leute auf den falschen Pfad und dient letztlich „moderneren Fraktionen des Kapitals“, die „neue Produkte und Technologien mittels modernster Öko-PR verkaufen“ wollen („Extinction of Rebellion“, 11/2019). Hier hätte es interessant werden können: Wer sind diese hochmodernen grünen Kapitalisten? Was haben sie anzubieten? Leider verrät die Autorin nicht mehr. Wir kommen auf die Auslassung gleich zurück.
In Wirklichkeit ist XR keine „rechtsoffene“ Sekte, sondern das neue Greenpeace: eine Nichtregierungsorganisation mit spektakulären Aktionen, die von Spenden lebt, weshalb die Schilder mit dem coolen Logo bei jeder Aktion vor die Kameras gehalten werden. Sowohl FfF als auch XR legen sich nicht auf Antikapitalismus fest, in der Hoffnung, so „breite politische Mehrheiten“ zu ermöglichen –, aber die meisten Aktiven wissen genau, dass Kapitalismus und Klimaschutz unvereinbar sind. So wie ihre Gegner. „Wie die Klimabewegung die Marktwirtschaft abschaffen will“, kommentierte Anfang November die NZZ und schäumte geradezu über vor Wut auf die „wohlstandsverwahrloste Neomarxisten“.
Illusionen machen sich viele in der Klimabewegung allerdings über den bürgerlichen Staat und seine Macht. Sie appellieren an die Einsicht der Funktionsträger. Auch wenn sie auf „Blockade“ und „Streik“ setzen, bleiben diese Aktionen in der Regel symbolisch, Protest statt Widerstand. So funktioniert die (NGO-)Umweltbewegung seit den 1970er Jahren. Seitdem versucht auch das Kapital, die ökologische Frage zu kooptieren. Um ordnungspolitische Maßnahmen zu vermeiden, unter denen ihre Profite gelitten hätten, propagierten Unternehmerverbände, ihre angeschlossene Presse und Wissenschaft erfolgreich „ökologische Marktmechanismen“: Recycling-Systeme („Entsorgung“), Emissionshandel und Besteuerung. Sie sollen dazu führen, dass die Preise die „wahren Kosten“ inklusive der Umweltzerstörung widerspiegeln (eine äußerst fragwürdige Idee, übrigens selbst innerhalb der Neoklassik). Ein durchaus erwünschter Nebeneffekt dieser erfolgreichen Strategie war die Spaltung zwischen Lohnabhängigen und Umweltschützern. „Wenn euer Lebensstandard sinkt, sind die Ökos schuld!“, lautet das Argument, dem „Ökosteuern“ den Boden bereiten.
Aber auch ein konsequenter Emissionshandel oder eine wirksame Besteuerung hätten das Wirtschaftswachstum und die Stellung innerhalb der internationalen Staatenkonkurrenz gefährdet. Deshalb wurden sie – Überraschung! - höchstens angetäuscht. Deshalb wiederum glauben viele Umweltaktivistinnen noch immer, die Einpreisung der destruktiven „Externalitäten“ der kapitalistischen Produktion böte einen Ausweg. Damit übernehmen sie die neoklassische individualisierende Perspektive, derzufolge Endverbraucher sich für ihre „persönliche CO2-Bilanz“ zu verantworten und gegebenenfalls zu schämen haben, und zementieren ihre Isolation von der Arbeiterklasse. Kein Wunder, dass unter den „bestreikten“ Einrichtungen kaum eine Hauptschule zu finden ist.

Vielleicht ist es schon aufgefallen: Die vorangegangenen 318 Wörter charakterisieren den politischen Charakter der Mobilisierungen hinreichend und kommen dabei ganz ohne Dämonisierung und Verschwörungstheorie aus. Nicht so Jutta Ditfurth. Sie lässt durchblicken, dass das Kapital sie mit Bedacht aufpäppelt. XR bekommt Geld vom Climate Emergency Fund , „in dem auch Kapital aus Ölgeschäften steckt“. Was allerdings nur daran liegt, dass Aileen Getty – Erbin eines der Eigentümer des mittlerweile liquidierten US-Konzerns Getty Oil – der Stiftung beträchtliche Summen zukommen ließ. Chris Hohn wiederum, ein schwerreicher englischer Hedgefond-Manager, spendete für die gute Sache 200 000 Pfund, während er gleichzeitig mit 630 Millionen Pfund am Londoner Flughafen Heathrow beteiligt ist. Falls gerade kein Taschenrechner zur Hand ist: seine Spende entspricht etwa 0,3 Prozent seiner Investition. So etwas ist kein Beispiel für ein „florierendes Geschäftsmodell“, höchstens eines für moralische Verkommenheit.
Ditfurths Falschinformationen, aber mehr noch das zugrunde liegende Argumentationsmuster würden in „Tichys Einblick“, „Achse des Guten“ oder einer ähnlichen Postille nicht auffallen. Nicht falsches Bewusstsein (meinetwegen der Staatsfetisch) ist verantwortlich dafür, dass den Aktivistinnen nichts besseres einfällt. Es liegt auch nicht an sozialen Spaltungen oder politischen Schranken, an die eine Bewegung stößt, die alles ändern muss, obwohl sie doch eigentlich nur ein paar Eisbären und Menschen das Leben retten will. Nein, finanzkräftige Interessengruppen ziehen im Hintergrund die Fäden und düpieren naive Gutmenschen. Fun fact: Bei der Suchmaschine Google lautet eine der häufigsten Wortkombination mit „Extinction Rebellion“ „Soros“.
Und auch die Charakterisierung als emotionalisiert und fanatisiert, gar spiritualisiert, kommt der aktuellen rechtsnationalistischen Rhetorik erstaunlich nahe. So wie Quadfasel und Will, wenn sie darauf hinweisen, dass die Welt doch mittlerweile seit vier Jahrzehnten untergeht („Waldsterben, Ozonloch“, „Achtziger-Revival“), voll retro irgendwie. Das mehr oder weniger elegante Ausweichen auf die Metaebene der Strukturähnlichkeiten gehört bekanntlich zum gängigen Repertoire der Klimaleugner. Weltklimarat (IPCC) und Zeugen Jehovas sagen beide, das Ende naht, ergo: „Klimareligion“.
Nun kann man XR schlechten Kostüm-Geschmack vorwerfen, eine grundfalsche Taktik für den Umgang mit der Polizei, wahrscheinlich noch mehr, aber eines eben nicht: dass sie übertreiben. Günther Anders, phänomenologischer Philosoph und radikaler Umweltaktivist, sprach seinerzeit von der „Apokalypseblindheit“. Die Zerstörungskraft der Nuklearwaffen übersteige das menschliche Vorstellungsvermögen, argumentierte er. Die ungeheure Macht, die eigenen Gattung auszulöschen, wirkt zurück auf den Menschen, aber sie macht ihn klein und ohnmächtig, der Wirklichkeit nicht gewachsen. Von heute aus betrachtet wirkt die Phase der Blockkonfrontation, die Anders theoretisierte, vergleichsweise harmlos und übersichtlich. Trotz einiger brenzliger Situationen hielt das Gleichgewicht des Schreckens. Nun nimmt die Erderwärmung an Fahrt auf, und ihre Folgen werden ähnlich verheerend sein wie ein großer Atomkrieg. Wir erleben die Hitzewellen, Dürren, Waldbrände. Wir müssen sie lediglich im Geist in die Zukunft verlängern und multiplizieren. Trotz eigener Anschauung dringt diese Wirklichkeit nicht durch. Nennen wir es, mit Günther Anders, Apokalypseblödheit.

Nennen wir es Apokalypseblödheit

Zusätzliche wissenschaftliche Fakten nutzen da wenig. Nur eine Handvoll knappe Hinweise, um nicht eine weitere ideologisch völlig überformte und verbogene Debatte zu führen: Ein Temperaturanstieg von drei Grad Celsius (durchschnittlich, im Vergleich zum vorindustriellen Niveau) oder mehr ist nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich, und er kann schnell vonstatten gehen. Dass ein grüner Kapitalismus ihn abwendet, ist aus politischen, ökologischen und ökonomischen Gründen unwahrscheinlich. Die bürgerliche Gesellschaft wird die Erderwärmung wahrscheinlich nicht überstehen, was zu begrüßen ist. Die menschliche Gattung vielleicht aber auch nicht. „Lieber zwei Grad höhere Temperatur als zwei Grad weniger Freiheit.“, schrieb kürzlich FAZ-Redakteur Jasper von Altenbockum – was für eine Grabstein-Inschrift!
Die Stabilität des Klimas beruht auf einem komplexen Zusammenspiel von Kohlenstoffeinlagerung, Sonnenstrahlung, Wind- und Meeresströmen und vielem anderen mehr. Wenn bestimmte Elemente in diesem System fallen – die Wolkenbildung über den Ozeanen, der Bodenfrost in der sibirischen Tundra –, kommt es zu Rückkopplungen, und die Temperatur steigt sprunghaft. Wie schnell das passiert, welche Muster ein instabiles Klimasystem zeigen wird, weiß kein Mensch. Bisher jedenfalls haben die Prognosen des IPCC, der den wissenschaftlichen Forschungsstand zusammenfassen soll, das Tempo der Entwicklung und das Risiko für die sogenannten Kippelemente deutlich unterschätzt. Wir haben, hoffentlich, noch gut zehn Jahre, um die Treibhausgas-Emissionen deutlich zu senken und das Schlimmste zu verhindern. Sonst könnten bereits in drei Jahrzehnten fünf Milliarden Menschen (!) von Wasserverschmutzung, Küstenstürmen oder unbestäubten Nutzpflanzen betroffen sein.
(Bio-)Technologische Auswege sind nicht in Sicht. Fun fact: Der IPCC hat in seine Prognosen die großtechnische Kohlenstoffdioxid-Einlagerung als „negative Emissionen“ bereits eingerechnet (neben Wiederaufforstung und ähnlichen Maßnahmen), obwohl unklar ist, ob sie funktionieren wird. Was die Menschheit gerade veranstaltet, gleicht dem Versuch, ein Auto von der Straße in einen See zu lenken in der Hoffnung, unter Wasser weiterzufahren. Aber natürlich, in diesem metaphorischen Auto sitzt niemand am Steuer. Hat der Unwillen, den solche Tatsachen hervorrufen, etwa nicht mit Apokalypseblödheit zu tun? Wie hängt sie zusammen mit der Pose des Bescheid- und Besserwissens? Was soll's. Die Klimakrise als solche taucht ja in diesen Texten gar nicht auf.
Im Zerrbild der Bewegungskasuistik versteckt ist allerdings die Sorge, FfF und XR könnten einer ökologischen Modernisierung zuarbeiten und einem „grünen Kapitalismus“ den Weg bereiten, wovor manche Linke sich irgendwie am allermeisten zu fürchten scheinen. Aber wenigstens darum muss niemand sich Sorgen machen. Das sogenannte Klimakabinett der Bundesregierung hat sich für „Weiter so!“ entschieden: für homöopathische „Preissignale“ und „Anreize“ wie zum Beispiel Prämien für neue Heizungen und Elektroautos. Ein letzter fun fact: Durch die neue Pendlerpauschale nimmt die steuerliche Belastung von Autofahrern ab, und zwar umso mehr, je größer das Einkommen und je weiter die Entfernung ist. Wenn es tatsächlich zu einer schwarz-grünen Regierung kommt, wird auch sie nur weiter Zeit schinden / verspielen. Der graduelle Charakter der Preissignale bringt die Unternehmen höchstens dazu, in Effizienmaßnahmen zu investieren („end of the pipe“-Technologien). Ein grüner Kapitalismus (sofern damit mehr als eine Vermarktungsstrategie und Greenwashing gemeint ist) wäre aber nur auf Grundlage einer neuen Infrastruktur für Energie, Wohnen und Verkehr und eines neuen Agrarsystems möglich. Die Branchen, die sich als „postfossil“ darstellen, wie die Digital- und Internettechnik, die sogenannte Sharing Economy, Elektromobilität und manche Finanzprodukte, leisten kaum einen Beitrag zur Emissionssenkung. Gegenüber dem harten Kern der „fossilen Kapitals“ (Öl, Erdgas, Auto, Luftfahrt einschließlich Rüstung, in gewissem Sinne auch Bau, Agrarindustrie und Lebensmittel) ist das „postfossile Kapital“ (letztlich nur die Erneuerbaren) lachhaft schwach. Kein Wunder, dass die deutsche Regierung die heimische Solartechnik- und Windkraft-Branche gegen die Wand gefahren hat. Das Finanzkapital hat in dieser Frage keine eigene Meinung. Kurz, der grüne Kapitalismus ist entweder nicht profitabel (und damit durchsetzungsfähig) oder nicht grün.
Doch halt! „Der Kapitalismus ist ein hochgradig lernfähiges, evolutionäres System, das bisher noch jede Krise und jede Opposition in einen Innovationsschub verwandelt hat.“ Dies schrieben die Grünen-Chefdenker Ralf Fücks und Kristina Steenbock bereits im Jahr 2007 und stellten eine „ökologische Wende des Kapitalismus“ in Aussicht. Damit trauen die Wannabe-Kapitalmodernisierer, dem System allerdings zu viel Lernfähigkeit zu, genauso wie die linksradikalen Wannabe-Kapitalabschaffer. Historisch konnte es zwar Krisen, Katastrophen und Revolten überwinden – es lernte eigentlich nicht, sondern wurde gewaltsam auf einen neuen Kurs gezwungen –, aber nur dann, wenn solche Störungen unmittelbar die Akkumulation einschränkten. Der Treibhauseffekt führt wohlgemerkt bereits dazu und senkt das globale Wirtschaftswachstum. Aber noch können sie mit den herkömmlichen technischen Mitteln und Institutionen „bearbeitet“ werden (im Doppelsinn des Wortes). Bis Abwanderung, Finanzialisierung, Weltmarkt, Klimaanlage und Automatisierung versagen und das System tatsächlich existentiell bedroht ist, wird es noch eine Weile dauern. Aufgrund der zeitlichen Verzögerung, mit der Emissionen zu klimatischen Effekten führen, wird es dann allerdings mit hoher Wahrscheinlichkeit zu spät sein. Das Überwinden natürlicher Grenzen, ein integraler Teil dieser Geschichte, war möglich durch technische und wissenschaftliche, organisatorische und soziale Neuerungen. Nun stößt das System zum ersten Mal an eine Grenze, die sich voraussichtlich nicht überwinden lässt: die Erdatmosphäre als Senke für die Abgase durch fossile Energieträger.

Eine Agrarkrise ist unvermeidlich - damit auch eine Systemkrise

Für den weiteren Verlauf der Klimakrise werden die Agrarsysteme, insbesondere die Produktion der Grundnahrungsmittel entscheidend sein. Bisher haben sich die Weltmarktpreise für Getreide, Öl und Milch noch nicht verteuert. Über kurz oder lang – und, wie oben ausgeführt, unter Umständen sprunghaft – werden die stärkeren klimatischen Schwankungen, Extremwetter (Stürme, Hagel etc.) und veränderte Niederschlagsmuster zu Missernten und einer insgesamt nachlassenden Produktivität in der Landwirtschaft führen. Mit der Erderwärmung verwoben sind weitere Probleme, unter denen die Bodenfruchtbarkeit leidet (Wasser, Resistenzen, Humus). Außerdem schrumpft wegen Bodenerosion, Versteppung und Wüstenbildung die bestellbare Fläche. Agrarwissenschaften und -technik (inklusive Gen- und Digitaltechnik) haben, trotz erheblicher Forschungsanstrengung, nichts wirklich im Angebot, um diesen Entwicklungen zu begegnen.
Lebensmittelpreise sind gesamtwirtschaftlich entscheidend, auch wenn sie in den Metropolen den kleineren Teil des Haushaltsausgaben ausmachen. Denn in jeder Ware, vom glutenfreien Snack bis zu Netflix, stecken einerseits die Kosten der Energieträger, die für Herstellung und Transport verwendet wurden, andererseits die Reproduktionskosten der Arbeitskraft, mit der sie hergestellt und transportiert wurde. Diese Kosten wiederum hängen maßgeblich vom Preis der Nahrungsmittel ab. Daher werden auch diejenigen, die sich strikt glutenfrei ernähren, vor dem Supermarktregal bemerken, wenn die Weizenpreise gestiegen sind.
Dass Europäer und Nordamerikaner dann weiterhin melancholisch in ihrer Zitadelle sitzen und die Klimaanlage höher drehen, ist ausgeschlossen. Die Versorgung mit bezahlbaren Lebensmitteln, schließlich auch mit sauberem Wasser und Elektrizität werden prekär. Der Lebensstandard breiter Schichten sinkt, der Klassenkampf wird schärfer. Natürlich, vielleicht rettet der wissenschaftlich-technische Fortschritte das System in letzter Minute, wie bei Blockbustern üblich. Dann allerdings muss er langsam in die Puschen kommen. Eine Agrarkrise und der entsprechende Druck auf die Produktivität sind dennoch unvermeidlich, die Frage ist nur, wie sie bearbeitet werden wird.
Das System steckt in einer Klemme: Treibhaus-Emissionen senken und die Produktivität der Arbeit steigern, geht nicht zusammen. Klimaschutz würde bedeuten, Transport und Produktion zu verteuern, damit auch die Arbeit, weil sie sich bekanntlich ebenfalls durch Warenkonsum erhält. Aber selbst wenn wir weiter ungebremst verfeuern, was sich verfeuern lässt, sinkt die Produktivität.
Ein halbherziges Öko-Reformprogramm mit langsam steigenden „Preissignalen“ senkt die Emissionen nicht (ausreichend), aber es könnte dazu führen, dass Gutsituierte weiterhin versonnen ihr Bio-Rindersteak kauen und den Flug nach Gomera mit einer Spende für Wiederaufforstungsmaßnahmen „ausgleichen“ (um meinerseits den großen Zeh vorsichtig in den Sumpf der kulturpolitischen Überformung zu tauchen), während der lohnabhängigen Bevölkerungsmehrheit das Leben endgültig vermiest wird. Dies in einer Phase, in der ziemlich alle ohnehin gegen den sozialen Abstieg anstrampeln.
Deshalb kommen Gelbwesten und Klimastreik nicht zusammen. Bisher jedenfalls noch nicht. Denn die vertraut gewordene Spaltung ist nur innerhalb eines sehr bescheidenen reformistischen Rahmens unüberwindbar. Immerhin enthielt ein (ziemlich repräsentativer) Forderungskatalog von Gilet Jeunes im Winter 2018 auch die Besteuerung von Kerosin und Schiffsdiesel und energieeffiziente Gebäudesanierung, mithin radikalere ökologische Maßnahmen, als von einer grün-schwarzen Regierung zu erwarten sind. Zudem werden die alltäglichen Folgen der Erwärmung das Proletariat und seine Wohnorte naturgemäß besonders hart treffen.

Die vermeintlichen Externalitäten schlagen zurück, auch ohne staatlichen Eingriff, weil „Ökosystemleistungen“ ausfallen. Drohnen sollen Obstbäume bestäuben, weil Bienen ausgestorben sind. Umwelttechnische Anlagen bereiten Wasser auf und machen es trinkbar. Damit können einzelne Unternehmen Geschäfte machen, aber sie führen nicht zu einem gesamtgesellschaftlichem Wachstum. Die „Unterproduktion der Produktionsbedingungen“, wie der britische Ökosozialist James O'Connor solche Krisen definiert hat, wird das kapitalistische System herausfordern, schließlich überfordern. Unwahrscheinlich, dass die bürgerliche Gesellschaft einen durchschnittlichen Temperaturanstieg von vier Grad Celsius oder mehr übersteht. Wird sie sich verabschieden, ohne die zahlreichen Gewaltmittel einzusetzen, die ihr zur Verfügung stehen? Was wird sie ersetzen?

 

 

Zurück in die Schublade