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Moderate Islamisten verzweifelt gesucht

Die britische Regierung will den Einfluss islamistischer Gruppen zurückdrängen, um terroristische Attentaten vorzubeugen. Aber ihre so genannte „Deradikalisierungsstrategie“ geht am Problem vorbei: Seitdem Britannien im Irak und in Afghanistan Krieg führt, grassiert unter muslimischen Einwanderern ein religiöser Separatismus.

Upper Edmonton am nördlichen Stadtrand Rand Londons ist ein Viertel, wie es hier viele gibt: scheinbare endlose Reihen eng stehender Einfamilienhäuser, nur unterbrochen von billigen Schnellimbissen und riesigen heruntergekommenen Wohnblöcken – „Sozialwohnungsland“ sagen die Engländer, die am Zustand des Immobilienmarkts den sozialen Status der Einheimischen exakt bestimmen können. In dem schmucklosen Keller eines städtischen Bürgerhauses warten dreißig Männer geduldig auf den Beginn der Veranstaltung. „Besteht die Scharia nur aus Strafen“, lautet ihr rhetorischer Titel. Organisiert wird der öffentliche Vortrag von Hizb ut-Tahrir, arabisch für „Partei der Befreiung“. Die meisten Besucher sind noch keine zwanzig Jahre alt, sportlich gekleidet und südasiatischer Herkunft. Misstrauisch wird beäugt, wen man nicht kennt: „Bist du Muslim?“ Aber da beginnt schon der Vortrag und Tajii Mustafa, Pressesprecher der britischen Sektion von Hizb ut-Tahrir, zieht alle Aufmerksamkeit auf sich. Mustafa spricht zunächst nicht über die Scharia, das traditionelle muslimische Recht. Stattdessen erinnert er seine Zuhörer, dass westliche Zeitungen ungestraft den Propheten Mohammed verspotten und sieht eine weltweite Kampagne gegen die Muslime und ihre Religion am Werk: „Wir haben es begriffen: Der Krieg gegen den Terror ist ein Krieg gegen den Islam!“ Eine Besucherin, die zu spät kommt, wird in einen mit Stellwänden abgetrennten Bereich geführt; Frauen und Männer sitzen getrennt. Schließlich kommt Mustafa doch auf das eigentliche Thema: In der britischen Gesellschaft seien Gewalt und Verbrechen außer Kontrolle, die unvermeidliche Folge einer gottlosen Gesellschaft und schrankenloser Freiheit. Geschickt greift er die Erfahrungen des Publikums auf: Upper Edmonton ist berüchtigt für Messerstechereien und Bandengewalt; den jugendlichen Besuchern stellt sich die Entscheidung zwischen Kleinkriminalität und Frömmigkeit ganz praktisch. Noch etwas überrascht: Die Agitatoren hier machen Anleihen bei religiösen Symbolen, flechten zum Beispiel arabische Formeln von beeindruckender Länge ein. Aber noch mehr erinnert ihr Auftreten an den radikalen afroamerikanischen Nationalismus, an Malcom X und die Nation of Islam. Hizb ut-Tahrir ist weltweit aktiv und in bestimmten Ländern im Kaukasus (zum Beispiel in Usbekistan) oder im Mittleren Osten (zum Beispiel dem Libanon) eine wichtige politische Kraft. Angeblich hat die Organisation eine einheitliche internationale Struktur. Das ist konsequent, schließlich lehnen die Anhänger Hizb ut-Tahrirs Nationalstaaten strikt ab und propagieren stattdessen die Einigung aller Muslime unter der Führung eines Kalifen. Die Grundsätze seiner Herrschaft seien im Koran niedergelegt, glauben sie. Viele Verlautbarungen der Partei sind antisemitisch geprägt; ideologisch ist sie im Wortsinn reaktionär: Sie will zurück zu einem fiktiven goldenen Zeitalter vor der Moderne, als religiöse Weisung und politische Macht angeblich noch ungeschieden waren.
In der Schweiz ist die Organisation verboten. Nach den Bombenanschlägen in London im Jahr 2005 bekundete der damalige Premierminister Tony Blair die Absicht, das auch in Britannien zu tun. Schließlich waren viele der tatsächlichen oder mutmaßlichen Terroristen zeitweise Mitglieder oder Sympathisanten, obwohl Hizb ut-Tahrir militante Aktionen im Westen, wenigstens zum jetzigen Zeitpunkt, ablehnt. Aber ein Verbot ging vielen liberal eingestellten Briten zu weit. Außerdem warnten Polizei und Inlandsgeheimdienste davor, die Mitglieder in den Untergrund zu treiben, wo sie noch schwerer zu überwachen seien. Trotzdem blieb die Debatte über das Parteiverbot nicht folgenlos, mittlerweile gibt man sich gemäßigter und sucht die Öffentlichkeit.
In manchen Gegenden hat sich Hizb ut-Tahrir regelrecht festgesetzt. Das weiß auch Neil Gerrard, Parlamentsabgeordnete für den Bezirk Walthamstow, direkt neben Upper Edmonton. „Sie tauchen überall auf, sogar bei meinen eigenen Wahlkampfveranstaltungen“, erzählt er. Gerrard, ein Vertreter des linken Flügels der Labour Party, betont, dass es sich um eine kleine Minderheit handele, die außerdem in den örtlichen Moscheen keine Unterstützung fänden. „Aber gibt Extremisten in meinem Wahlbezirk, keine Frage! Wir müssen die Auseinandersetzung mit ihnen führen und sie politisch besiegen.“ Lange wählte die überwiegende Mehrheit der muslimischen Einwanderer treu und unbeirrt die Labour Party – bis Britannien in Afghanistan und im Irak Krieg führte. „Das hat viele dem politischen System entfremdet, besonders viele junge Leute“, sagt Gerrard. „Der Krieg hat uns Stimmen gekostet, auch mich persönlich, obwohl ich gegen den Einsatz im Irak war!“

Schwierige Terrorabwehr

2006 verhaftete die Polizei in Walthamstow acht Männer und warf ihnen vor, Sprengstoffanschläge auf Passagierflugzeuge geplant zu haben. Alle waren in Britannien geboren und Anfang bis Mitte zwanzig Jahre alt. Nach Angaben der britischen Polizei war der so genannte „Flugzeugkomplott” nur einer in einer ganzen Reihe geplanter Anschläge. Vor zwei Wochen wurden wieder mutmaßliche Terroristen verhaftet, die angeblich vorhatten, den Premierminister zu ermorden. (Wie ernsthaft sie dieses Projekt betrieben, ist allerdings unklar.) Der Inlandsgeheimdienst MI5 behauptet, ihm seien zweitausend „potentielle Terroristen“ bekannt. Seit Beginn des Irakkriegs im Jahr 2003 sei ihre Zahl um dreihundert Prozent gewachsen. Besonders in den Gefängnissen haben die Islamisten an Einfluss gewonnen. Die Regierung reagiert darauf unter anderem mit Programmen, bei denen Imame mit islamistischen Gefangenen Koranstudien betreiben, um sie so vom Terrorismus abzubringen. Wer bereit zum Ausstieg ist, wird finanziell und bei der Suche nach Arbeit unterstützt. Manche ehemalige islamistische Aktivisten werden zu Sozialarbeitern ausgebildet und arbeiten in sozialen Brennpunkten mit Jugendlichen.
Would-be Märtyrer Polizei und Geheimdiensten finden nur schwer Zugang zu manchen nach außen abgeschotteten muslimischen Gemeinschaften. Deshalb wurde in London eine Sondereinheit namens Muslim Contact Unit gebildet, die Kontakte mit dem islamistischen Milieu pflegt. Robert Lambert, bis letztes Jahr der Leiter dieser Einheit, bringt die Strategie auf eine klare Formel: „Die Islamisten gegen Al Kaida stärken!“ Der ehemalige Polizist ist mittlerweile wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fakultät für Politikwissenschaft an der Universität Exeter und arbeitet an einer Doktorarbeit über Terrorismusbekämpfung. Er argumentiert, dass die klerikal orientierten Extremisten in vielen Gemeinden viel Einfluss haben, und dass die Beamten ohne ihre Hilfe viele Anschläge nicht hätten vereiteln können. Daran besteht wenig Zweifel, trotzdem ist der Ansatz der MCU umstritten. Der ursprüngliche Plan, das Konzept der Sondereinheit auf das ganze Land auszuweiten, wurde bisher nicht umgesetzt. Schließlich lassen sich so zwar Anschläge verhindern, aber um den Preis, dass die Islamisten politisch aufgewertet werden. Lord Toby Harris, der Beauftragte des Innenministeriums für die Terrorismusbekämpfung bei der Londoner Metropolitan Police Authority, kommentiert: „Es geht nicht um Zusammenarbeit, sondern um einen Austausch, einen Dialog. Es ist nicht unser Job, irgendwen aufzuwerten oder zu unterstützen. Wir müssen uns den Tatsachen vor Ort stellen.“

Separatismus im Aufwind

Bei Verdacht auf terroristische Aktivitäten greift die Polizei frühzeitig ein – und schießt scharf. So starb Jean Charles de Menezes in einer U–Bahnstation, weil die Beamten ihn für einen Selbstmordattentäter hielten. Als die Polizei ein Jahr später ein Haus in Walthamstow durchsuchte, wo sie eine Bombenwerkstatt vermutete, wurde ein Bewohner angeschossen. Kurze Zeit darauf stellte sich heraus, dass die Familie, die in dem Haus wohnte, keinerlei Verbindungen zu Terroristen hatten. Schon immer waren in Vierteln wie Walthamstow die Beziehungen zwischen migrantischem Proletariat und der Polizei von Misstrauen und Gewalt geprägt. Aber Terror und Terrorabwehr verschärfen die Situation. Nach offiziellen Statistiken werden Muslime siebenmal häufiger von der Polizei angehalten und durchsucht als der Durchschnitt der Bevölkerung. Assad Rehman von der antirassistischen Initiative Newham Monitoring Project spricht von einem „Belagerungszustand“, in dem sich die Einwanderer befänden.
In Britannien werden die verschiedenen Fraktionen der islamistischen Bewegung üblicherweise als „politischer Islam“ zusammengefasst. Der Begriff beschreibt ein Spektrum, das von Al Kaida bis zum puristischen und politisierten Islam reicht, wie ihn die ägyptischen Muslimbrüder vertreten. Mit Ausnahme Al Kaidas, die wegen ihrer ultra-sektiererischen Praxis viel Sympathie verloren hat, haben alle Strömungen des politischen Islams an Stärke gewonnen. Es sind nicht nur die Kriege, die ihnen Argumente liefern. Sie profitieren auch von einer Lagermentalität, die sich seit den Anschlägen vom 11. September 2001 verbreitet und seit den Bomben in der Londoner Innenstadt noch verstärkt hat. Während in den Medien des Landes über die Gefährlichkeit des Islams und der Muslime debattiert wird, registriert die Polizei so viele rassistische Übergriffe wie niemals zuvor. Auch die organisierte extreme Rechte, besonders die faschistische British National Party, richtet ihre Hetze mittlerweile bevorzugt gegen Muslime und deren angebliche Unwilligkeit oder Unfähigkeit zur Integration in die britische Gesellschaft.
„Die Mehrheit der britischen Muslime steht nicht hinter diesen Bewegungen. Auch die Unterstützung für Al Kaida ist zurückgegangen, aber es gibt immer mehr Separatismus, die Vorstellung, dass Muslime unter sich bleiben sollten und ihre eigenen Institutionen brauchen“, sagt Rashad Ali. Bis vor zwei Jahren war er ein leitendes Mitglied von Hizb ut-Tahrir. Aber es mehrten sich Zweifel – besonders weil die Parteiführung ihre religiöse Interpretation immer dann änderte, wenn es ihr politisch opportun schien. Mittlerweile tritt er öffentlich gegen seine ehemaligen Kameraden an. Hizb ut-Tahrir rekrutiert vor allem an den höheren Schulen und Universitäten; man will weniger die Proletarier als die zukünftige Elite. An vielen Universitäten haben sie damit Erfolg. Auch Rashad trat bei, als er an der Universität Sheffield Wirtschaftswissenschaften studierte, beeindruckt von der Konsequenz und der umfassenden Theorie der Partei: „Sie hatten auf alles, wirklich auf alles eine Antwort. Und die konnten sie auch noch mit den heiligen Schriften begründen.“ Rashad ist ein junger Mann, sorgfältig gekleidet, mit sanfter Stimme, aber festen Überzeugungen. Wer sich mit ihm unterhält, merkt schnell, wie sehr die Vorstellung über die islamistische Bewegung von Vorurteilen und Klischees geprägt ist. „Die Religion hat mich nicht hinein getrieben, sie hat mich da raus geholt!“, erklärt er. Sein Engagement wurzelte nicht in religiösem Glauben, sondern in einer politischen Kritik an der westlichen Gesellschaft. Aber mindestens ebenso sehr richtet sie sich gegen den traditionellen Islam seiner Eltern. Als „Fundamentalist“ lehnte er deren Bräuche und moralischen Vorstellungen ab, die sie aus den bäuerlichen Regionen Südost-Asiens nach Nordengland mitbrachten, und wandte sich stattdessen dem Koran zu. Auch darin ist Rashad typisch: Das islamistische Engagement ist eine doppelte Rebellion, die sich gegen die Eltern und die „Mehrheitsgesellschaft“ richtet.

Gemäßigte Islamisten verzweifelt gesucht! / Desperately seeking the moderates

Spätestens seit dem jahrzehntelangen Konflikt in Nordirland wissen die Briten, dass Kriege nicht nur militärisch, sondern auch politisch gewonnen werden müssen. Auch heute ist in der Presse immer wieder die Rede von der Notwendigkeit, im „Krieg gegen den Terror“ die Herzen und Überzeugungen der Menschen auf die eigene Seite zu bringen. Winning hearts and minds lautet das Schlagwort. „Wir müssen die Leute von vornherein davon abhalten, in den gewalttätigen Extremismus abzurutschen“, sagte Innenministerin Jacqui Smith, als sie eine „nationale Deradikalisierungsstrategie“ vorstellte (siehe Kasten). Obwohl das Programm bei vielen Stadtverwaltungen und Kommunen unpopulär ist, weil sie ihre Aktivitäten nicht dem Vorzeichen der Terrorabwehr betreiben wollen, erhalten mittlerweile über siebzig von ihnen Zahlungen aus dem Programm. Einige unterstützen mit den Geldern nun ihre Jugendzentren oder Sportvereine.
Das ressortübergreifende Programm Prevent Violent Extremism (PVE), von der britischen Regierung im Jahr 2006 ins Leben gerufen, soll gleich mehrere Zwecke erfüllen: gezielt radikalisierte Jugendliche identifizieren, sie vom Islamismus abbringen und die Gegner der Islamisten innerhalb der muslimischen Gemeinden stärken. Im April 2007 stellte dann das Innenministerium den Aktionsplan mit dem Titel “Preventing violent extremism: winning hearts and minds” vor. Getragen wird PVE vom Innenministerium, Außenministerium und dem Ministerium für Lokalverwaltung. Allein von Mitte 2008 bis Mitte 2009 stellen sie umgerechnet 25 Millionen Schweizer Franken für die „Extremismus–Vorbeugung” zur Verfügung; für die nächsten drei Jahre sind insgesamt 72 Millionen Schweizer Franken vorgesehen. Diese Gelder gehen an die Polizei, an soziale Projekte oder an muslimische Vereine, die die Regierung fördern will. Sozialarbeiter in Jugendzentren oder Bewährungshelfer sollen dabei eng mit der Polizei kooperieren, auf lokaler Ebene wurden Gesprächskreise eingerichtet, um frühzeitig eingreifen zu können, „wenn Radikalisierung stattfindet“, formulierte die Innenministerin Jacqui Smith.
Ein weiterer Kernpunkt des Programms ist die Förderung eines gemäßigten, „britischen Islams”: Durch die Unterstützung gemäßigter Kräfte soll der Einfluss militanter Islamisten zurückgedrängt werden. Beispielsweise betreibt das Außenministerium eine Internetseite, auf der theologische und politische Diskussionen stattfinden und die sich an religiöse britische Jugendliche richtet. Das Innenministerium wiederum wird künftig sogar einen Rat von 20 islamischen Theologen finanzieren (jährlich 140 000 Pfund, umgerechnet 174 500 Euro beziehungsweise 279 000 Schweizer Franken), der mit seinen Entscheidungen den britischen Muslimen Orientierung geben soll. Laut Innenministerium erwartet man sich abschließende Urteile zu Fragen wie „Müssen sich gläubige Muslimas verschleiern?“ beziehungsweise „Dürfen britische Muslime als Soldaten in Kriegen gegen mehrheitlich muslimische Länder dienen?“
Zum Programm „Gewalttätigem Extremismus vorbeugen“ gehört auch die Vernetzung von Polizei und lokalen sozialen Einrichtungen und muslimischen Organisationen, außerdem die Unterstützung klerikal orientierter Verbände, die sich vom Terrorismus distanzieren. Der Rat der britischen Muslime (MCB), lange der wichtigste Ansprechpartner der Regierung, ist kaum noch tragbar. Obwohl von der britischen Regierung initiiert, ist er personell und ideologische der Linie der Muslimbrüder (beziehungsweise ihres pakistanischen Ablegers, der Partei Jamaat-e-Islami) verbunden. Mittlerweile ist dieser Dachverband etwas an Rand gedrängt worden, aber ganz auf ihn verzichten will die Regierung nicht.
„Wen man kräftig umarmt, kommt nicht ans Messer in der Tasche!“ So etwa lautete ihr Kalkül. Sie versucht, Teile des islamistischen Spektrums in die Terrorabwehr einzubinden. Wie schwierig das ist, zeigte sich im Juli, als Shahid Malik, der Minister für Internationale Entwicklung und erster Muslim im Kabinett, seine Teilnahme an einer islamischen Konferenz kurzfristig absagen musste, als bekannt wurde, dass einige der Organisatoren Verbindungen zur palästinensischen Hamas haben. Schon die Sprachregelung gestaltet ist kompliziert: „Islamistisch“ hat im Englischen keinen negativen Beiklang und schließt auch die große Mehrheit der Muslime ein, die ihre Religion als Privatsache ansehen. „Fundamentalisten” wiederum ist ebenso problematisch, bekräftigt dieser Ausdruck geradezu die Anhänger des politischen Islams in ihrer Selbstwahrnehmung als Rechtgläubige. Vor kurzem kursierte in der Presse eine Dienstanweisung des Innenministeriums, nach der die Behörden künftig nur noch von „anti-islamischen Terroristen” sprechen sollten, was nur spöttisch kommentiert wurde.
Als in den 1990er Jahren in Algerien Bürgerkrieg herrschte, den die Groupe Islamique Armé (GIA) mit einigem Erfolg in die ehemalige Kolonialmacht Frankreich zu tragen versuchte, kritisierten französische Polizei und Geheimdienste scharf die Haltung der Briten gegenüber den Islamisten. Ein „Londonistan“ sei entstanden, ein Rückzugsgebiet und organisatorische Zentrale im Westen für islamische Extremisten und Terroristen. Das liege nicht nur an der laxen Haltung des britischen Staates, so die Franzosen, es gebe regelrecht eine Strategie des Appeasements: Man lasse die islamistischen Gruppierungen gewähren, solange diese im Gegenzug auf Aktionen innerhalb des Landes verzichteten. Wie weit und wie formalisiert dieses Abkommen jemals war, ist unklar. Sicher ist, dass es im Außenministerium eine Strömung gibt, die aus (geo-)strategischen Erwägungen gute Beziehungen zur Muslimbrüderschaft und die ihr nahe stehenden Parteien pflegen wollte. Und die sind eben nicht nur in Pakistan, Bangladesch oder Ägypten aktiv, sondern auch in Sheffield, Manchester und London. Das hat zu der merkwürdigen Situation geführt, dass die so genannte Extremismusbekämpfung maßgeblich vom Außenministerium bestimmt wird.
Mitte September wurde der Presse ein Memorandum zugespielt, in dem die Innenministerin warnt, dass die sich verschärfende Wirtschaftskrise zu Spannungen zwischen Alteingessenen und Einwanderern führen wird, womöglich auch zu einer Welle terroristischer Aktionen. Die Bewohner von Walthamstow in London wird die Krise besonders hart treffen. Die Arbeitslosigkeit ist ohnehin beträchtlich, sogar nach den geschönten offiziellen Zahlen – aber unter Einwanderern aus Pakistan und Bangladesch doppelt so hoch wie unter weißen Engländern. Ja, die Beziehungen seien schlechter geworden, räumt der Labour-Abgeordnete Neil Gerrard ein. „Es gibt nicht so viel Kontakt! Die gläubigen Muslime gehen eben nicht in den Pub und so. Aber immerhin leben die Leute im selben Viertel, nicht wie in Nordengland.“ Gut möglich, dass die Innenministerin recht hat und die Islamisten noch stärker werden.