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Jargon der Wertkritik

Was eigentlich stört die Initiative Sozialistisches Forum an Hartz IV?

Im vergangenen Jahr haben Gegner wie Befürworter von Hartz IV die sogenannte Arbeitsmarktreform der Bundesregierung zum Beginn eines neuen Kapitels der deutschen Geschichte erklärt. Inzwischen aber geht alles seinen katastrophal alltäglichen Gang: Bund und Kommunen schieben Sozialausgaben hin und her, die Bürokraten stöhnen unter der Arbeitslast, während die Arbeitslosen nach Nischen im organisatorischen Chaos suchen. Die Medien arbeiten mit voller Kraft an der Normalisierung der Situation, präsentieren glückliche Arbeitslose mit 1-Euro–Job oder bedauernswerte, die sich das geplante Eigenheim nun doch nicht leisten können. Und die Linke? Die Kampagne "Agenturschluß", mit der die Einführung von Hartz IV behindert werden sollte, war für viele eine einzige Enttäuschung. Geplant war, den Betrieb in den Ämtern lahmzulegen, manche konnten sich sogar vorstellen, spontan Erwerbslosenräte zu gründen – nachträglich klingt das naiv, denn am 3. Februar blieben die Aktivisten unter sich und stießen bei den Arbeitslosen meist auf Unverständnis, teilweise auf Ablehnung.
Lutz Wehring vom Wuppertaler Sozialforum formuliert es so: "Kollektiver Ungehorsam ist hierzulande keine Widerstandsform, auf die mensch in der Breite zurückgreifen kann." Das hätte das Wuppertaler Sozialforum natürlich auch schon vorher wissen können - in der Januarausgabe von KONKRET stand doch schon schwarz auf weiß: "Niemand wird sich entziehen können".
Der Text mit dem Titel “Die Produktion der Panik” (KONKRET 1/05 und 02/05) stammt von der Freiburger Initiative Sozialistisches Forum (ISF) und beschäftigt sich mit den neuen Sozialgesetzen. Wie das Stück beginnt, so endet es auch: "Die Wiederkehr des Immergleichen geht in die nächste Schleife." So ist die kreisförmige Bewegung des Textes der behaupteten historischen nachempfunden: Wir kommen immer wieder zum Ausgangspunkt zurück, ob wir wollen oder nicht. Aber die Wiederkehr des Immergleichen findet nicht in der Geschichte statt, sondern in dieser bestimmten Form von Polemik.
Mit vollem Recht verspotteten die Freiburger die Auslassungen der Politiker und Journalisten zum Thema, die höhnische Verbindung von Bürokratie und Psychokratie, mit der man den Arbeitslosen zu Leibe rückt. Aber warum eigentlich Josef Ackermann oder Gerhard Schröder aus dem Kollektiv herausheben, handelt es sich doch insgesamt um “Marionetten” und "Charaktermasken"? "Der Kanzler denkt nicht; es denkt ihn ihm", heißt es. Wie untauglich ein solcher Standpunkt für die Kritik ist, macht die banale Frage klar, was denn das Denken des Kanzlers von dem der Freiburger Genossen unterscheidet, wenn doch der Fetisch in beiden und in beiden gleich denkt.
Die ISF bemerkt, daß es bei Hartz IV vor allem um die Mobilisierung der Arbeitslosen geht (eine Strategie, die keineswegs auf Deutschland beschränkt ist und in Großbritannien “Kampf gegen die Kultur der Inaktivität” heißt). Sie deutet diese Strategie richtig als Reaktion auf eine Krise, die uns einer “faschistische Krisenlösung” näher bringt, weil sie das Problem nicht lösen kann. Die ISF will den Reformismus treffen. Dazu nutzt sie durchgängig rhetorische Doppelformen: "Bruder Hitler" und "Genosse Lenin", PDS und NPD. Ob die “Brechung der Zinsknechtschaft” (Feder) oder die Tobinsteuer (Attac!) gefordert wird – alles eine deutsche Suppe.
Besonders geschmackssicher: Die Teilnehmer der Montagsdemonstrationen seien demselben Staatlichkeitswahn verfallen wie die Technokraten, die ihnen Hartz IV zumuten: “Was als die pure Notwehr auf den Montagsdemonstrationen gegen >Hartz IV< und >Agenda 2010<, gegen >Sozialabbau< und >Neoliberalismus< daherkommt, was >Für Arbeit und soziale Gerechtigkeit< plärrt (...) führt nur immer tiefer in den Schlamassel hinein, in die deutsche Misere.” Ihren Widerwillen gegen den häßlichen Anblick verkleiden sie eine Politökonomie. Eine “dritten Klasse” von unmittelbar dem Staat Unterworfenen entstünde durch Hartz IV, eine "Staatsklasse".
Es ist es kein Zufall, daß sich die Empirie des Textes in den Zitaten von berufsmäßigen Ideologen, Journalisten, Politikern und "freien Politikberatern", erschöpft. Wer schon mal ein Sozialamt von innen gesehen hat, muß wissen, daß die Wirklichkeit widersprüchlicher ist, daß sich hier Abhängigkeit, Widerwillen, Unterwerfung und passiver Widerstand mischen. Keineswegs macht der bloße Empfang staatlicher Leistungen Proletarier zu Staatsangestellten oder gar zur "Schwungmasse (...) der neuerlichen Wendung in den autoritären Staat und hinein in die Faschisierung". So alt wie der Kapitalismus ist das Arbeitshaus, und sogar Deutschland erlebte in der Vergangenheit revolutionäre Erwerbslosenbewegungen. Hartz, Schröder und Ackermann wollen auch bestimmt nicht die Arbeitskraft durch 1-Euro Jobs “verstaatlichen”, sondern möglichst viele aus dem Leistungsbezug drängen und mit den verbleibenden den Staatskonsum senken. Ob dieser Versuch gelingt, ist durchaus noch nicht klar.
Die ISF spricht über Staat, Souveränität, Subjekt, Kapital und Deutschland. Im Stil der Tour de force gleitet sie von einem zum anderen, was gedankliche Schärfe und den einen großen Überblick vortäuscht, wo doch nur eine Analogiebildung an die nächste gehängt wird. Das entspricht ihrer Aneignung des Gedankens Alfred Sohn-Rethels vom Zusammenhang von Warenform und Denkform. Aber wo Sohn-Rethel sich um historische und sprachliche Genauigkeit bemühte, ist bei der ISF alles gleich: Ware, Recht, Subjekt, Denken, sogar das Fühlen.
Hier rächt sich der strenge Monismus ihrer Art der Wertkritik. Der Schlußsatz des programmatischen Textes “Das Konzept Materialismus", in dem die ISF ihre Erkenntnis formulieren, das Kapital sei sowohl “autarkes System” wie “autonomes Subjekt”, lautet: "Es gibt kein Anderes der Totalität". Der irische Marxist John Holloway beschreibt genau diese Haltung als Kern der "linken Melancholie", die auf der Idee eines "starren Fetischismus" beruht: "Geld, Kapital, der Staat und so weiter werden als verdinglichte Formen gesellschaftlicher Verhältnisse verstanden, aber nicht als Formen aktiver Verdinglichung. Diese Kategorien werden als geschlossene aufgefaßt, im Sinne einer Entwicklung, die einer in ihnen selbst vorhandenen, eigenständigen Logik folgt."
Damit ist keine Kritik zu betreiben, nur Polemik. Gerne zitiert die ISF Horkheimers Diktum von der Kritischen Theorie als einem einzigen entfalteten Existentialurteil. Das ist, bildlich gesprochen, so, als frage der Theoretiker die Gesellschaft, ob sie das alles denn wirklich ernst meine. Und selbst das wäre noch falsch, denn die Voraussetzung eines solchen Gesprächs zwischen Gesellschaft und ihren Theoretikern wäre ein Standpunkt außerhalb der Gesellschaft, eben: ein äußerlicher. In den Texten der ISF erscheint die Gesellschaft als reibungsfreie Maschine, die läuft und läuft und läuft. Alles Prozeßhafte und Prekäre in der kapitalistischen Verwertung geht in dieser Darstellung verloren, alles, was widerstrebt und sich sperrt, damit auch jeder Grund für die Revolution.