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Wer mit wem?

Joschka Fischer und Peter Sloterdijk geben sich diplomatisch.
(Junge Welt, 23. Oktober 2006)

Die Berliner Kongresshalle wird gerade renoviert, was Bernd Scherer, Intendant am dortigen "Haus der Kulturen der Welt" (HKW), nutzt, um die Vortragsreihe "Meine Baustelle" zu veranstalten. "Baustellen markieren Zeiten des Umbruchs", so Scherer in seiner Eröffnungsrede am vergangenen Samstag. Altes wird fortgeschafft und Neues entsteht – ein Bild so frisch wie aus dem Tiefkühlfach. Und obwohl der ehemalige Außenminister Joschka Fischer und der Talkshowphilosoph Peter Sloterdijk geladen waren, wurde es auch danach nicht tiefsinniger.
Das Thema: Diplomatie. Der Ort: Berlin. Die Kontrahenten: ein Philosoph, ein Staatsmann. Geradezu überladen an Bedeutungen war dieses Zusammentreffen, aber der Eklat blieb aus. Die beiden verstehen sich prächtig, schließlich haben sie dieselbe Schule der 70er Jahre durchlaufen, als man Kritische Theorie im Munde führen musste, wollte man als Intellektueller etwas oder einen darstellen. Talkshowkrawall oder doch eine kulturpolitische Strategiedebatte? Dem Veranstalter Scherer wenigstens ging es um Grundsätzliches, unter anderem darum, wie künftig in Deutschland mit "anderen Kulturen" umzugehen sei. Sowohl der "westliche Universalismus" als auch der kulturelle Relativismus (den er, kaum zufällig, "Multikulti" nannte) seien gescheitert. Als Königsweg schlug der Leiter des HKW deshalb die Diplomatie vor: „Entscheidend für den Erfolg des Diplomaten ist es, dem Anderen glaubhaft zu vermitteln, dass er trotz der eigenen klar vertretenen auf gleicher Augenhöhe wahrgenommen wird."
Diplomatie – was könnte angemessener sein für eine Weltmacht wie Deutschland, die nicht so kann, wie sie möchte? Interessanterweise ist Jürgen Habermas bei keinem der Teilnehmer mehr wohlgelitten. Dessen Konsensmodell entsprach noch der Zeit der begrenzten Regelverletzung und des Korporatismus, als die Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft in Debatten auflösbar sein sollten. Das ist passé, auch wenn Joschka Fischer zum Realismus und also zu Vorsicht mahnte. Weil immer mehr Akteure über Nuklearwaffen verfügen, sei die Kriegsoption eingeschränkt. Während Clausewitz noch Politik und Waffengewalt gleichberechtigt aufeinander folgen ließ, müsse heute Krisenmanagement Konflikte beschränken und einhegen. Der Außenminister außer Dienst sah finster die Zukunft. Die Erdbevölkerung werde auf sieben Milliarden anwachsen. "Wir können noch so hohe Zäune bauen, das Mittelmeer wird nicht breit und nicht tief genug sein, wenn Afrika anfängt, seine Probleme nach Europa zu exportieren." Der Irakkrieg sei für die EU zum Fiasko geworden, der Nahe Osten destabilisiert und ein atomares Wettrüsten in der Region wahrscheinlich.
"Ihr seid entweder für uns, oder ihr seid gegen uns", sagte George W. Bush in seiner historischen Rede nach dem 11. September. Ein Paradebeispiel für eine undiplomatische Ausdruckweise, spottete Sloterdijk. Wie Fischer teilte er eifrig Seitenhiebe gegen die USA aus, sprach ansonsten aber weniger über Politik als über Sprachphilosophie. Als der heutige Rektor der Karlsruher Hochschule für Gestaltung vor sechs Jahren mit faschistischem Ideengut flirtete, hieß es auf einem Flugblatt: "Sloterdijk ist für das Feuilleton das, was Mike Krüger für die Zunft der Humoristen ist. Beide erfüllen die Vorgaben ihrer Sparte der Kulturindustrie so exakt, dass sie eine Peinlichkeit für den Betrieb als Ganzes sind." Das wäre ganz richtig, würden die Standards der öffentlichen Rede nicht fortwährend unterhöhlt. Was gestern peinlich war, gehört heute zum guten Ton. Offensiv bekennt der Lebensphilosoph sich zur zynischen Lebenskunst, die ihn sein Guru Baghwan in den 70ern lehrte. Sein mediales Markenzeichen ist die hyperbolische Megathese. Der Epochenumbruch findet bei ihm wöchentlich statt, aber die Welt bleibt sich immer gleich. Zwar fällt es ihm immer schwerer, das deutsche Feuilleton darin zu überbieten, der Faschismusvorwurf wenigstens hat ihm nicht geschadet. Dass er sich nicht zu dem offiziösen Großphilosophen eignet, der er gerne wäre, liegt an seinem Hang zur Provokation. Sloterdijk spricht aus, was die anderen nur hinter vorgehaltener Hand sagen, und wo er ist, soll Stimmung aufkommen. So wieder am Samstag in Berlin, wo er über Operettenrepubliken auf dem Balkan und Diplomaten als "politische Bohème in sicherer Distanz zur Wertschöpfung, die ihre Beziehungen pflegt" kalauerte.
Ganz anders Fischer, der sich spätestens seit seiner Gastprofessur an der amerikanischen Universität Princeton zum elder statesman befördert fühlt. Die neue Rolle spielt er mit Begeisterung. Zu ihr gehört auch der regelmäßige Hinweis auf die eigene „bewegte Vergangenheit“ und den Weg vom revolutionären Taxifahrer zum Regierungsmitglied. Aus der Tagespolitik hat er sich zurückgezogen, hier gibt es für ihn nichts mehr zu holen, nachdem er sein eigentliches Pfund bereits verkauft hat – die GRÜNEN als regierungs- sprich kriegstaugliche Partei. Auf Anekdoten aber aus seiner Zeit als Chef des Auswärtigen Amts, als Jugoslawien mit Diplomatie und Bomben zerschlagen wurde, wartete das Publikum vergeblich. Hier der alte Häuptling der Stadtindianer als Staatsmann, dort der "Provokateur", der aus philosophischer Überzeugung mit allem grundsätzlich einverstanden ist – wer könnte die bürgerliche Bohème und die heruntergekommene Bourgeoisie in Deutschland besser repräsentieren als die beiden? In diesem Zusammenhang nimmt sich der Satz des Intendanten Scherer als Drohung aus: "Die Grenzen sind noch nicht gezogen, wer mit wem bei dem Prozess, eine Welt herzustellen, auf derselben Seite steht, muss sich noch erweisen."