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Science Wars
(Wochenzeitung, 19. Mai 2005)
China, Europa und die USA kämpfen um Wissen als einen strategischen Rohstoff.
Noch konkurriert China mit den anderen Weltmächten vor allem über den Preis seiner Waren und niedrige Lohnkosten, aber fortan will das Land nicht mehr nur Technologie aus den Metropolen kopieren, sondern eigene entwickeln. Die kommunistische Staatspartei beschloß deshalb auf dem Nationalen Volkskongress im März ein gigantisches Investitionsprogramms für die Hochschulen. Während Deutschland bisher vergeblich versucht, fünf “Eliteuniversitäten” zu gründen, will China einhundert Spitzenhochschulen schaffen und abgewanderte Forscher wieder zurück in die Heimat locken. Und es gibt erste Erfolge: die Zahl der Patentanmeldungen bei der World International Property Organisation (WIPO) – dem Teil der Vereinten Nationen, der für den Schutz von Patenten zuständig ist – stieg 2004 auf 1.782 Anträge. Zwar kann China noch längst nicht mit den USA mithalten, aus denen im gleichen Zeitraum 41.870 Anträge kamen, aber es handelt sich um eine Steigerung von 34 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Solche Nachrichten werden bei Politikern und Unternehmern aufmerksam verfolgt. Alle Weltmächte haben erkannt, wie wichtig produktive Hochschulen für ihre Interessen sind. Die Wissenschaftspolitik ist Teil der langfristigen Handelspolitik, Wissen ein strategischer Rohstoff: brain drain oder gain soll in Zukunft entscheidend sein für Erfolg oder Mißerfolg auf dem Weltmarkt. So jedenfalls sehen es die Strategen. Das US–amerikanische National Intelligence Council (NIC), finanziert von dem Geheimdienst Central Intelligence Agency (CIA), veröffentlichte kürzlich einen umfassenden Bericht unter dem Titel “Project 2020”, in dem die die Forschungspolitik einen großen Raum einnimmt. Für die USA als Weltmacht sei entscheidend, ihre Vorherrschaft in den Schlüsselfelder wie der Nano-, Bio-, Material- und Informationstechnologie zu behaupten. Zu diesem Zweck müsse entweder eine große Zahl von amerikanischen Wissenschaftlern qualifiziert oder Forscher und Entwickler aus dem Ausland angezogen werden, um die “high-tech brain power” an das Land zu binden.
Die CIA–Filiale zeichnet folgendes Bild der internationalen Konkurrenz: Indien und China seien aufstrebende Mächte, während Europa zurückgefallen sei und weiter an Boden verliere. Als besondere Probleme der EU werden genannt: die Bevölkerungsentwicklung, besonders der Rückgang der Geburtenrate, die Probleme, Immigranten anzuziehen und zu integrieren, außerdem eine mangelnde Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Nationen.
Das Bild von der amerikanischen Stärke, das der Bericht zeichnet, muss allerdings korrigiert werden. Zwar gibt es noch keine Krise der Wissensproduktion in den USA, aber zunehmende Schwierigkeiten. Die Kürzungen im Sozial- und Bildungsbereich haben dafür gesorgt, dass die Studierenden–Quote zum ersten Mal seit dreißig Jahren stagniert, während sie anderswo steigt. Weniger Jugendliche erwerben die Hochschulreife, von diesen entscheiden sich, wegen der finanziellen Risiken, die heute mit einem Studium verbunden sind, immer weniger für die Universität. Viele europäische Staaten haben mittlerweile die USA in der Studierendenquote eingeholt, manche übertroffen. Sinkende staatliche Zuwendungen gibt es nicht nur für die Lehre, sondern ab dem nächstem Jahr sogar für die Grundlagenforschung.
Aber die Schwierigkeiten der Akademie entstehen auch aus dem Quasi–Kriegszustand, in dem sich die USA befinden, und der die internationale Zirkulation der Geistesarbeiter behindert. Die Gesetze zum Schutz der amerikanischen Grenzen schrecken nicht nur Attentäter, sondern auch Studenten und Forscher ab. Im vergangenen Herbst berichtete das Institute of International Education, die Zahl der ausländischen Studenten sei im Studienjahr 2003/2004 um 2,4 Prozent gefallen – der erste Rückgang seit 1972. Hochschulverbände forderten daraufhin “eine nationale Strategie für den Studentenaustausch”. Die restriktiven Bedingungen für die Einwanderung und ein “nachteiliges politisches Klima” seien schuld an dem Rückgang. Gleichzeitig sei es anderen Staaten, vor allem Großbritannien und Australien, gelungen, mehr internationale Studenten anzuziehen.
Ähnlich Probleme gibt es in der Forschung, auch weil immer mehr Länder Strategien entwickeln, um ihre gut ausgebildeten Studienabgänger im Land zu behalten. Eine Studie des National Science Board (NSB) beklagte 2004 einen Rückgang bei den Patenten und der Zahl der veröffentlichten wissenschaftlichen Aufsätze. Dies sei fatal, denn die USA seien von der Einwanderung ausländischer Wissenschaftler abhängig, besonders im technologischen Bereich. Nach der Veröffentlichung folgte eine öffentliche Debatte, wie die Gefahr abzuwenden sei. Inzwischen hat die Regierung reagiert und einige besonders restriktive Regelungen bei der Visa–Vergabe zurückgenommen.
Seit dem Homeland Security Act von 2002 änderte die Defense Advanced Research Projekts Agency (DARPA), die Schnittstelle zwischen Regierung, Industrie und den Universitäten, ihre Ausrichtung: statt Grundlagenforschung fördert sie nunmehr Projekte, die unmittelbaren militärischen Nutzen versprechen. Mit ihren Forderungen nach immer besserer Geheimhaltung treibt die Behörde amerikanische Wissenschaftler zur Verzweiflung. Weil sich das militärisch bedeutsame Wissen in den Forschungslabors der Rüstungsindustrie besser als an den Hochschulen abschirmen läßt, senkte sie ihre Drittmittelvergabe dramatisch. Nur ein Beispiel unter vielen: die Zuschüsse an das Massachussetts Institute of Technology (MIT) sanken von 1999 bis 2004 um 38 Millionen Dollar. Nun erhält das MIT “nur noch” 24 Millionen.
In dieser Situation wittern europäische Wissenschaftspolitiker ihre Chance. Die EU–Kommission forderte in ihrem Entwurf für das siebte Rahmenforschungsprogramm (RFP) Anfang April eine massive Erhöhung der Ausgaben: statt jährlich 4,4 Milliarden Euro sollen 10 Milliarden ausgegeben werden. Der zuständige Kommissar Janez Potocnik wies darauf hin, dass die EU 2002 insgesamt – nationale und private Mittel eingerechnet – bloß 2 Prozent ihres Bruttoinlandprodukts in Forschung und Entwicklung investiert habe. Die wichtigsten Konkurrenten USA und Japan, so der Kommissar, wendeten dagegen 2,7 beziehungsweise über 3 Prozent auf.
Wie die Amerikaner hält die Kommission die Informationstechnologie, Gesundheit, Nano- und Materialwissenschaft sowie Biotechnologie, aber auch Waffen- und Weltraumforschung für die Schlüsseltechnologien der Zukunft. Ob das EU–Parlament und die europäischen Regierungen diesem ambitionierten Plan zustimmen werden, steht noch nicht fest. Aber Geld ist keine hinreichende Bedingung für erfolgreiche Forschungspolitik, weshalb das RFP auch zahlreiche Forderungen zur universitären Kultur enthält.
Hier müssen die Studenten in Europa aufmerksam werden, denn die strategischen Vorschläge betreffen sie direkt. So soll die Mobilität zwischen Europas Hochschulen gefördert werden. In den USA wechseln 30 Prozent der Studierenden während ihres Studiums mindestens einmal die Universität; wegen sprachlicher und bürokratischer Schwierigkeiten ist Europa davon noch weit entfernt. Die Kommission forderte außerdem, die Karrierechancen für den Nachwuchs zu verbessern.
Andererseits soll die akademische Wissensproduktion, im Sinne der Verwertbarkeit, effektiver werden. In den letzten sechs Jahren habe es einen Rückgang bei der Beteiligung von Unternehmen gegeben, beklagte Günter Verheugen, Vizepräsident der Kommission: “Das hat uns in vielen Fällen von der Marktnähe weggebracht.” Marktnähe einerseits, bessere Arbeitsbedingungen für eigene und nicht–europäische Wissenschaftler andererseits sind die Prinzipien, mit denen die EU – Kommission den europäischen Forschungsraum “zum dynamischsten der Welt” machen will. Fast scheint es, als nähme die internationale wissenschaftliche Konkurrenz die Form eines Verdrängungswettbewerbs an. Das jedenfalls die großen Mächte immer mehr auf das Anwerben fremder Wissenschaftler setzen, während sie andererseits ihre Hochschulen an kurzfristigen Verwertungsinteressen ausgerichten, sollte bedenklich stimmen.
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