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Tiefer EinschnittDie britische Labour-Regierung plant eine radikale Umgestaltung der weiterführen Schulen.(erschienen in der JUNGEN WELT am 7. 1. 2005) "Heute ist ein bedeutender Tag: Tony Blair hat endlich und ausdrücklich zugegeben, dass er in Wirklichkeit ein Konservativer ist!" So wütend kommentiert Pat Murphy, Sekretär der größten Lehrergewerkschaft Englands, der National Union of Teachers (NUT), eine Gesetzesvorlage der Regierung, die im November veröffentlicht wurde. Nun erwarten britische Gewerkschafter von dem Labour-Vorsitzenden ohnehin nicht viel; dennoch schockierte das Weißbuch der Regierung mit dem Titel "Höhere Standards und bessere Schulen für alle!", das am 26. Oktober veröffentlicht wurde. Sollte das Gesetz in dieser Form umgesetzt werden, handelte es sich um den tiefsten Eingriff in das Schulsystem seit der Einführung der kostenlosen Schulbildung ab der 6. Klasse im Jahr 1944. Wie im Gesundheitssystem und anderen Bereichen setzt Blair auch bei den Schulen ganz auf Privatisierung und "Vermarktlichung". Künftig sollen "Treuhandgesellschaften" die Schulen weitgehend unabhängig von den örtlichen Kommunen verwalten. "Geschäftsleute, Elternorganisationen und Glaubensgemeinschaften" könnten dann über die Verwaltung, Finanzierung, Personaleinstellungen und teilweise sogar die Lerninhalte bestimmen. "Erfolgreiche Gesellschaften werden ermuntert werden, zu expandieren", heißt es in dem Weißbuch. Auch Privatschulen soll erlaubt werden, ehemals staatliche Schulen zu übernehmen dürfen, für deren Unterhalt allerdings der Staat aufkommt. Dadurch würde die Grenze zwischen staatlichen und Privatschulen weiter verwischt und auch die Spreizung bei den Löhnen der Lehrer vorangetrieben. Die Pläne des Department for Education and Skills, des britischen Bildungsministeriums, sehen vor, dass die lokalen Behörden bald nur noch die Standards an Schulen kontrollieren. "Sie werden weniger mit dem alltäglichen Betrieb der Schulen beschäftigt sein, sondern nur noch die Qualität des Unterrichts überwachen", heißt es aus dem Bildungsministerium. Durch das Gesetz würde ein wesentliches Element des bisherigen Schulsystems abgeschafft: die Pflicht der Kommunen, für jedes Kind einen Schulplatz anzubieten. Steve Sinnott, Generalsekretär der NUT, befürchtet: "Diese Pläne werden die ethnische und soziale Spaltungen in unserem Land noch weiter verschärfen." Denn die größere Unabhängigkeit der Schulen soll sich auch auf die Auswahl der Schüler erstrecken. Wie viele Eltern befürchtet Sinnott, dass Schulen dann Kinder mit Lernschwierigkeiten, Verhaltensauffälligkeiten oder aus sozialen Brennpunkten diskriminieren werden: "Die Schulen werden sich um jene Kinder reißen, die bisher gute Noten hatten und pflegeleicht sind, während die aus armen Familien möglicherweise gar keine Plätze bekommen." Denn seit 1992 hängt die Vergabe der öffentlichen Mittel auch von der sogenannten Performance, also den Noten der Schüler und der Menge des erteilten Unterrichts ab - eine Schule, die schwierige Schüler aufnimmt, würde sich selbst die Arbeit schwer machen. Die Regierung argumentiert, durch das Gesetz werde der Elternwille gestärkt und größere Wahlmöglichkeiten für die Eltern geschaffen. Bildungsministerin Ruth Kelly: "Wir werden den Schulen mehr Freiheiten geben, und andererseits die Wahlmöglichkeiten für Eltern ausweiten." Aber Kritiker aller Parteien sehen das anders - einschließlich einer starken Fraktion in Blairs eigener Partei. 72 Abgeordnete Labours haben angekündigt, gegen den Entwurf in seiner jetzigen Form zu stimmen. Somit wäre Tony Blair auf konservative Stimmen angewiesen, um das Gesetz zu verabschieden. Vor zwei Wochen veröffentlichte eine Gruppe von ihnen, darunter auch die ehemalige Bildungsministerin Estelle Morris, einen Gegenentwurf. Unwahrscheinlich, ob es dem in seiner dritten Amtszeit durch Irakkrieg und einen beginnenden Wirtschaftsabschwung geschwächtem Premier gelingen wird, seine Pläne in dieser Schärfe umzusetzen. Schon signalisiert Number 10 Kompromißbereitschaft. Im Januar wird das Parlament über das Gesetz beraten. Gut möglich, dass Blair nach der Abstimmungsniederlage seines Anti-Terrorismus-Gesetz die nächste Schlappe ins Haus steht.
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