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In dem "Google-Copy-Paste-Syndrom" sieht Stefan Weber eine Gefahr für die akademische Kultur.

"Ein Buch abzuschreiben ist ein Plagiat. Ab zweien beginnt die Forschung" – mit dieser alten Professorenweisheit kann Stefan Weber nichts anfangen. Der Medienwissenschaftler begann sich für den Ideen- und Textklau zu interessieren, als sich ein Kollege freimütig aus seiner Dissertation bediente. Er begann zu recherchieren und entdeckte „ein Fass ohne Boden“: in Klassenzimmern und Hörsälen ist Plagiieren Alltag, seit das Internet Texte kostenlos ins Haus liefert und man sich sogar die Mühe des Abschreibens sparen kann. Die übliche Methode: Google führt zu brauchbaren Texten, aus denen in den Zwischenspeicher kopieren, einfügen fertig.
Eine Studie in den USA berichtete 2005, dass über 60 Prozent der Schüler zugeben, schon einmal fremde Texte oder Textteile als ihre eigenen ausgegeben zu haben. Aber das Google-Copy-Paste-Syndrom (GCP) ist nicht beschränkt auf die Ausbildungssektor, sondern findet sich auch in Zeitungsredaktionen und überall dort, wo professionell „Content“ hergestellt wird. So normal ist GCP geworden, dass Studenten und sogar Dozenten jedes Unrechtsbewusstsein fehlt. Weber berichtet von kaum glaublichen Beispielen. Einer Kollegin etwa wurde kürzlich ihre eigene Internetveröffentlichung als Seminararbeit eingereicht. Die massenhafte „grundsätzliche Laxheit in Fragen des geistigen Eigentums“ (Brecht) führe zu „einer Textkultur ohne Hirn“. Statt eigener gedanklicher Leistungen würden fremde Formulierungen nur collagiert, die Auseinandersetzung mit dem Thema nur vorgetäuscht. Den Korrektoren fällt das fast nie auf. „Studenten wissen,“ schreibt Weber, „selten geht es um mehr als nur einen flüchtigen Blick.“ Eben daran kranken seine Vorschläge, wie gegen die Plagiatskultur vorzugehen sei. Er plädiert für härtere Sanktionen und striktere Kontrollen. Insofern aber Bildungsanstalten eine „Abschluss-Erzeugungsmaschinerie“ sind – wie die Berliner Anti-Plagiats-Aktivistin Deborah Weber-Wulff das nannte – wird das GCP-Syndrom weiter um sich greifen.
Besonders erbost den Autor, wie postmoderne Denker und die Cultural Studies GCP theoretisch verharmlosen. Das Dogma, die Nutzer wären in der Lage, sich jede Technik „anzueignen“ und kreativ anzuwenden, führt seiner Meinung dazu, dass das Fach die zunehmende Lese-, Schreib- und Denkschwäche ignoriere. Insofern richtet Weber sich gleichzeitig gegen den Mainstream seines Fachs. Fazit: eine notwendige Provokation, materialreich und gut geschrieben.

Stefan Weber (2006) Das Google-Copy-Paste-Syndrom. Wie Netzplagiate Ausbildung und Wissen gefährden. Heidelberg: Dpunkt-Verlag.

 

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