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Ein Leben für die Anilin Die Geschichte der Chemiefabrik will Walter beschreiben aus der Sicht eines Arbeiters, "von unten" sozusagen. Aber wie tief unten war und ist ein Arbeitnehmer in der BASF eigentlich? Die Belegschaften der hiesigen Chemieindustrie sind als wenig konfliktfreudig bekannt, ihre Gewerkschaft gehört zu den konservativsten, sozialpartnerschaftlich ausgerichtet und auf die (deutsche) Stammbelegschaft fixiert. Woher kommt das? "Wenn´s stinkt, dann geht´s uns gut!" ist einer alter Kalauer liebenswerter Aniliner, mit dem sie Fragen nach zerstörter Natur und Gesundheit außerhalb des Fabrikgeländes zu kontern pflegten. Ein seltsamer Sinn für Gerechtigkeit schwingt hier mit, denn wenn sich der Aniliner seine Gesundheit für Lohn zerstört, soll es den anderen nicht besser gehen. Den traurigen Zustand, den der Klassenkampf in Fabriken wie der BASF bietet, erklären gewerkschaftlich orientierte Linke üblicherweise durch eine "Verblendung", in der sich die Arbeiterklasse befinden soll. Allesamt sind es Opfern der Propaganda des Kapitals, der angeblich mit verstärkter Aufklärung zu begegnen sei. Diese sozialen Objekte, nicht Subjekte, werden, einmal von der Linken überzeugt, alle sozialpartnerschaftlichen Irrtümer hinter sich lassen. Seltsam nur, daß sich das deutsche Proletariats so völlig abweisend gegen alle linken Umarmungsversuche zeigt. Das gemeinsame Interesse zwischen der Firma und ihren ArbeiterInnen ist keine Illusion, sondern solange richtig, wie die Arbeitskraft verwertet werden will. In Ludwigshafen existierte eine zeitweise starke linksradikale Bewegung, auch in der großen Fabrik, auch gegen die Integrationsversuche der Gewerkschaften und auch unabhängig von der kommunistischen Partei. Diese Tradition ist tot, und sie war es schon, als Edwin Walter 1943 mit gerade fünfzehn Jahren seinen ersten Arbeitstag als "Chemiejungwerker" antrat. "Fast alle führenden Figuren hatten Funktionen bei den Nationalsozialisten." erinnert sich Walter. Es war vorgeschrieben, am ersten Arbeitstag in HJ-Uniform zu erscheinen. Ohne Mitgliedschaft in der Naziorganisation gab es erst gar keinen Lehrvertrag. Diese Verflechtung von Firma und faschistischem Staat ist auf allen Ebenen so eng, daß die Grenze schwer zu ziehen ist. Auschwitz - Monowitz war das Lager der IG-Farben, in dem die Häftlinge sich zu Tode schuften mussten, aber auch in Deutschland, in Ludwigshafen wurden Fremdarbeiter bis zum Tod ausgebeutet. "Die Fremdarbeiter waren sehr verschlossen, daß erhöhte ihre Überlebenschance", schreibt Walter lapidar. Das Lager der russischen Frauen befand sich in Frankenthal, dort vegetierten sie in ungeheizten Holzbaracken ohne Wasser. Walter erinnert sich, daß nach Feierabend die Frauen zehn Minuten auf die SS-Eskorte zum Lager warten müssen und in dieser Zeit auf die Werkstoilette rennen, um sich ohne Seife notdürftig zu säubern. Während die Bomben auf Ludwigshafen und Mannheim fallen, ist die größte Sorge der Aniliner, die Produktion am laufen zu halten, nach dem Sieg der Alliierten das Wichtigste, die Produktion wieder anzufahren. Den Nationalsozialismus tut Walter ab als "Unsinn, der uns eingeredet worden war", keinen weiteren Gedanken ist er wert. Es herrscht Harmonie zwischen Vorgesetzten und Arbeitern, die sich heute leider verflüchtigt hat: "Trotz bohrenden Hungers, trotz vieler Entbehrungen, ohne groß zu fragen, erledigten wir alle unsere Aufgaben ohne Murren und Klagen. (...) Es kam ja nicht von ungefähr, daß die Arbeiterschaft im August 1947 demonstrierte, als Prof. Wurster, Vorstandsvorsitzender der IG Farben im Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß als Kriegsverbrecher angeklagt war. Es bildete sich ein riesiger Protestzug der Arbeiter und Angestellten, die für die Freilassung von Prof. Wurster demonstrierten.(.... Sie) kämpften für ihren großen Chef", der Hitler an die Macht half. Walter ist kein Schriftsteller, sondern Chemotechniker. Stilblüten produziert er wie am Fließband. "Ihr Glücksgefühl sagte zu ihr: >Ich wurde nur geboren, um auf diesen Mann zu warten!<". Wie leicht doch die Frauen zufrieden zu stellen sind! Daß die deutsche Sprache seine Sache nicht ist, kann man dem Proletarier Walter nicht zum Vorwurf machen. Aber was sollen wir ihm überhaupt vorwerfen? Seinen Sexismus? Seinen Rassismus? Das er aus der Zeit des Nationalsozialismus nur gelernt hat, daß es besser geht, wenn alle, Arbeiter und Unternehmer, am selben Strang ziehen? Edwin Walter (1998) Ein Amboß zeigt Gefühl: Aus dem Leben eines Arbeitnehmers. Mannheim: Edition Quadrat.
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