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Für einen Weltkrieg nicht gut aufgestellt
Adam Tooze will in Ökonomie der Zerstörung die Geschichte der nationalsozialistischen Wirtschaft neu erzählen.
(JUNGE WELT, 2. Juni 2007)

Zur Begrüßung sparte man nicht mit Lob. Adam Toozes neues Buch "Ökonomie der Zerstörung" sei nicht nur ein "neues Standardwerk", sondern gleichzeitig ein aufregender Beitrag, der "viele neue Fragen aufwirft". Der englische Historiker saß derweil auf der vorderen Kante des Sessels und schaute konzentriert auf die holzgetäfelte Saaldecke im Berliner Wissenschaftszentrum. Später zeigte sich die lokale Historikerriege weniger beeindruckt vom "Werk des jungen Kollegen", immerhin der ersten Gesamtdarstellung der deutschen Wirtschaft von 1933 bis 1945. Jürgen Kocka, Geschichtsprofessor an der FU Berlin, übernahm es, Toozes Version erst darzustellen und dann zu hinterfragen. Toooze lehrt in Cambridge und veröffentlichte bisher ausschließlich für Fachpublikum. „Ökonomie der Zerstörung“ dagegen ist ein umfangreiches, aber ohne Vorkenntnisse lesbares Buch und ein garantierter Verkaufserfolg. Fascism sells, besonders, aber nicht nur in Deutschland. Nur „neue Aspekte“ müssen natürlich dabei sein.
Radikal neu ist Toozes Deutung allerdings nicht, er gewichtet nur anders als heute allgemein üblich. Das Verhältnis zwischen dem Diktator Hitler und dem Staatsapparat lässt er beiseite, um zu zeigen, dass die wesentlichen strategischen Entscheidungen schon 1933 getroffen wurden. "Wer Hitler wählt, wählt Krieg", agitierte die KPD vor der Wahl, und tatsächlich hatte von Beginn an die Aufrüstung für die Nazis oberste Priorität. Diesem Ziel ordneten sie alles unter, auch die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Tooze zeigt, dass Adolf Hitler eine Steigerung des Lebensstandards der Deutschen erst nach der Eroberung von „Lebensraum im Osten“ für möglich hielt. Bis dahin sollten den Volksgenossen einiges an Verzicht abverlangt werden. Damit widerspricht Tooze erneut Götz Alys Rede von der faschistischen „Wohlfühl-“ beziehungsweise „Gefälligkeitsdiktatur“. Schon nach Erscheinen von "Hitlers Volksstaat" wies er dem Autor nach, zumindest volkswirtschaftlich fasch gerechnet zu haben. In "Ökonomie der Zerstörung" wird nun detailliert ausgeführt, dass sich die Sozialpolitik der Nazis für die unteren Schichten vor allem in Propaganda erschöpfte. Die Kollaboration der einfachen Leute muss anders erklärt werden, möglicherweise mit den Aufstiegschancen und der Beute, die durch die Judenverfolgung auch ihnen zugute kamen, möglicherweise mit der Erwartung, nach dem "Endsieg" im künftigen rassischen System privilegiert zu werden. Einstweilen galt "Kanonen statt Butter".
Wirklich interessant an der Neuerscheinung sind zwei andere Aspekte: die Unterstützung der Nazis durch die Industrie und die relative Schwäche Deutschlands im internationalen System. Wer hatte Macht in Deutschland, wer trägt damit Verantwortung für die Katastrophe? Die Großindustrie, die verängstigten Mittelschichten, die Bauern, die Proleten? Mittlerweile sind ziemlich alle Möglichkeiten mindestens einmal vorgeschlagen worden, und in der populistischen Schulddebatte taucht die Frage nach der tatsächlichen Macht gar nicht mehr auf. Davon hebt Tooze sich angenehm ab. In Berlin beklagt er, dass Tim Masons Formel vom „Primat der Politik“ mittlerweile zum Dogma verkommen sei; die noch vorhandenen Einflussmöglichkeiten der wirtschaftlichen Eliten würden so von vornherein missachtet. Besonders die Teile des Industriekapitals, die Rüstungsgüter herstellten, hätten weiterhin die politischen Entscheidungen in ihrem Sinne beeinflussen können.
Also doch eine "Diktatur der reaktionärsten Kreise des Finanzkapitals"? Kommen die Dimitroff-Thesen, auf dem Umweg über Cambridge, zurück? Der Geschichtsprofessor ist alles andere als ein störrischer Unternehmerfeind und muss doch feststellen: "Ob das Autarkieprogramm, die Aufrüstung oder sogar die große Zahl an neuen Überwachungsbehörden, alles fand den Beifall und die tatkräftige Unterstützung von erfahrenen Firmenchefs." Leider belässt es Tooze bei dieser Feststellung und untersucht die partiellen Interessensübereinstimmung zwischen Nazis und Teilen des Industrie- und Finanzkapitals nicht weiter. Damit bleiben die Texte Alfred Sohn-Rethels nach wie vor die genaueste Analyse dieses Verhältnisses.
Kein Mitleid zeigt Tooze mit der verbreiteten Ansicht, Deutschland sei in der Weimarer Republik ein wirtschaftlicher Riese gewesen, nur durch die internationalen politischen Kräfteverhältnisse blockiert. Im Gegenteil, der britische Historiker betont die relative Rückständigkeit der "Möchtegernweltmacht Deutschland". Für Hitler sei deshalb die (Weltmarkt-)Konkurrenz zu den USA wichtiger gewesen als seine ideologische Feindschaft gegen den Bolschewismus. Das habe durchaus rationale Anteile gehabt, denn Deutschland konnte sich nach dem Ersten Weltkrieg entweder mit der neuen amerikanischen Hegemonie abfinden und als deren Juniorpartner einrichten oder mit allen Mitteln gegen sie aufbäumen. Aufgrund der zu geringen Wirtschaftskraft sei dieser Versuch aber vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen.
Tooze beschreibt die faschistische Wirtschaftspolitik als Abfolge von Krisen. Der Zusammenbruch der deutschen Ökonomie sei durch immer waghalsige Manöver und immer brutalere Mittel aufgeschoben worden. In dieser Gesamtdarstellung werden langfristige Entwicklungen und die katastrophische Dynamik des NS deutlich. Als Einstieg ist "Ökonomie der Zerstörung" geeignet, ein künftiges Standardwerk ist es nicht. Abschließende Urteile werden hier sicher nicht gefällt.

Adam Tooze (2007) Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus. Aus dem Englischen von Yvonne Badal. München: Siedler Verlag.

 

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