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"Denk das Einfache, das nie fertig wird!"
Jens Rachuts Hörspiel Der Seuchenprinz verabschiedet die Menschheit.

Für Karl Kraus ging im großen Krieg zwischen 1914 und 1918 etwas unwiederbringlich kaputt. "Die letzten Tage der Menschheit" nannte er deshalb sein Theaterstück über das Völkerschlachten, und folgerichtig war es nicht für die Aufführung auf der Erde gedacht, sondern sollte auf dem Mars inszeniert werden. Aber wie lässt sich das Weltende erzählen? Mindestens ein Berichterstatter muss davonkommen, soll die Erzählfiktion ungebrochen bleiben. Auch Jens Rachuts Hörspiel "Der Seuchenprinz" handelt vom Aussterben. Davon, wie es schief ging. "Wenn Sie diese Black box hören, bin ich Staub. Ich hieß Danny Ferran, Journalist, der das erste Interview mit den Außerirdischen machte. Ich bin fast 30. Hinter mir verglüht die Erde, und mit ihr die Menschen, Tiere und Pflanzen."
Der dritte Teil der Geschichte ist nun erschienen, die anderen sollen nächstes Jahr folgen. Viele kennen und lieben Jens Rachut als den Sänger und Texter in verschiedenen Punkbands mit so schönen Namen wie Angeschissen oder Blumen am Arsch der Hölle. Demnächst wird er fünfzig Jahre alt. Der Westdeutsche Rundfunk hat das Stück vor kurzem ausgestrahlt, aber anders als andere Hamburger Ex– beziehungsweise Immer noch–Punks, die sich heute mit Theaterstücken und Romanen versuchen, macht Rachut hier eigentlich dasselbe wie immer. Als er zusammen mit Bretzel Göring (Stereo Total) die erste Platte unter dem Namen Kommando Sonne-nmilch produzierte, klang das Ergebnis – eine Mischung aus Programmmusik, Sesamstraße und elektronischer Musik – schon ganz ähnlich. Sogar ein altes Stück von Oma Hans kommt im "Seuchenprinz" zum Einsatz (in einer Version, die zehn von zehn möglichen Punkten auf der Merkwürdigkeitsskala verdient).
Wer Rachuts Texte versteht, liebt sie und kann auf literarische Analysen samt Katachresen und Zeugmen gut verzichten. Die antiintellektuelle Attitüde gehört heute scheinbar zu Punk wie Mayo auf die Pommes. Sie hat sich verfestigt wegen der wiederholten Erfahrung, dass die intellektuelle Analyse der erste Schritt ist und der zweite die Enteignung durch die Industrie. Leider hat das einer bornierten bierseligen Dumpfheit den Weg bereitet, die auf die eigene Abstumpfung und Regression auch noch stolz ist. Am meisten beeindruckt deshalb Rachuts sture Weigerung, zwischen Dummheit und Intellektualismus zu wählen. Es ist keine Übertreibung: kein anderer in Deutschland tut, was er tut. Seine Themen und die sprachliche Kraft und Präzision heben ihn weit über das Niveau von durchschnittlichen Punktexten, von der sogenannten Popliteratur ganz zu schweigen.
Manche feiern den Dichter Rachut herablassend als Freak, dessen "unverfälschtes Gefühl" das kulturindustrielles Treiben neu beleben soll. Jenseits des Diskursgeschwaffels gibt es kaum ernsthafte Auseinandersetzungen mit ihm. Aus vielen seiner Liedern spricht die Liebe zu allem, was lebt, und eine zutiefst negative Sicht dessen, "was Männer und Frauen sich antun“, Mut zur Einfachheit und Empfindsamkeit. Die kompetente Internetseite Filmtagebuch nennt ihn „den besten Geschichtenerzähler, den die hiesige Musiklandschaft hervorbringen konnte“, und lobt treffend seine „unprätentiöse Sprache, die mit Minimalismen eine ungeheure Tiefe schafft". Kleine Details und alltägliches Gerede lösen bei ihm ungeahnte poetische Effekte aus. Ein voller Aschenbecher. Ungespültes Geschirr. "Denk doch mal an deine Familie." Diese Dinge sind, im Gegensatz zu einer spätbürgerlichen Literaturauffassung, konkret, nicht austauschbar und Symbol, sie bilden das Leben selbst. Rachut kann bitter und lakonisch sein, aber immer bleibt er realistisch. Das Konkrete, also nach Brecht das Wahre, benennt er naiv, fast kindlich: "Sie ist gefallen, die Bombe aus Atom."
Insofern kann er nichts falsch machen, und auch das erstes Hörspiel ist keine Enttäuschung. Dabei ist die eigentliche Geschichte nicht besonders originell und erinnert sowohl an Blade Runner als auch an Per Anhalter durch die Galaxis: Außerirdische haben das Leben auf der Erde erzeugt. Dieses Experiment stellt sich als gescheitert heraus; nach drei Millionen Jahren geben sie auf und warten auf den Seuchenprinzen, einen apokalyptischen Erlöser. "Am Tag, an dem alles zu Nichts wurde" (No Means No) stürzen nicht nur Gebäude in sich zusammen, es zersetzen sich auch die Sinnstrukturen und damit die Sprache.
Die Apokalypse ist Strafe für die Verderbtheit der Welt, ihre Zerstörung Reinigung. Das Ende wird erwartet mit Sehnsucht und Schrecken, weil diese Welt nicht verdient, weiter zu existieren. Im brutalen Umgang mit der Natur, im Krieg und auch in der Liebe zeigt sich, wie sehr die Menschen ihr Schicksal verdient haben. Vorwerfen könnte man Rachut einen antizivilisatorischen Affekt: das Unheil beginnt für ihn mit dem ersten Schritt aus der Höhle hinaus. Die Geschichte des Atheisten nähert sich einem christlichen Motiv, dem des Sündenfalls. Es war eine Todsünde. An verschiedenen Stellen heißt es: "Denk das Einfache, das nie fertig wird!" – eine pessimistische Auslegung von Brechts Diktum über den Kommunismus als „dem Einfachen, das schwer zu machen ist“. Im "Seuchenprinz" gibt es keine Hoffnung mehr, die Menschheit hat ihre Chance verspielt. Es bleibt ein todtrauriger Abschied. Stiere brüllen. Frösche flöten. Menschen schreien. Die ängstliche Schafherde glaubt, auf der anderen Seite des Gatters sei kein Donner. Sie rennen hin und her. Es regnet Erdöl und Waschbenzin. Vögel sterben im Flug. Menschen sterben auf dem Nachhauseweg. Sie sterben in den Kneipen. In den überfüllten Notaufnahmen. Unterm Bett. In den Solarien und Videotheken. Rachut schreibt Worte auf einen Zettel.

 

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