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Anne Nivat, Mitten durch den Krieg

Als 1999 der zweite Krieg zwischen Russland und Tschetschenien ausbrach, von der russischen Führung beschönigend als antiterroristischer Einsatz bezeichnet, war die Französin Anne Nivat Korrespondentin für die "Libération" in Moskau, dreißig Jahre alt und bisher niemals als Kriegsberichterstatterin tätig. Anstatt sich aber mit der offiziellen Propaganda der russischen Militärs zufriedenzugeben, begab sie sich heimlich auf die andere Seite der Front, nach Tschetschenien. Als einzige europäische Journalistin zwischen September 1999 und Februar 2000 konnte sie unabhängig berichten. Mehrmals geriet sie in Lebensgefahr, von islamischen Kämpfern wurde sie fast entführt und von russischen Granaten beinahe umgebracht. Ihre Reportagen diktiert sie mit einem Satellitentelefon ins Ausland.
In ihrem Bericht verzichtet sie weitgehend auf eigene Analysen, ihre eigene Person spielt eine nur untergeordnete Rolle. Stattdessen läßt sie Täter und Opfer selbst zu Wort kommen: Unabhängigkeitskämpfer, Flüchtlinge, Soldaten und Politiker. So gelingt ihr, woran westliche Beobachter üblicherweise scheitern: ein unideologisches Panorama des Krieges, das durch den nüchternen Stil der Journalistin nur erschütternder wird. In den Kriegen zwischen Tschetschenien und Russland starben über 100 000 Menschen - vom Westen weitgehend unbeachtet.
Das Leben der sogenannten einfachen Menschen, die Nivat zu Wort kommen zu lassen, wird durch den Krieg zerstört. Sie haben in der Regel für keine der Konfliktparteien Sympathien, nicht für Warlords wie Schamil Bassajew, nicht für die Männer Wladimir Putins. Je länger der Krieg dauert, desto weniger scheren sich die Militärs beider Seiten um den Unterschied zwischen Zivilisten und Kombattanten. Ein Tschetschene erzählt Nivat verbittert: "Putin hat gesagt, es wäre nur ein >Sondereinsatz<, aber das ist eine unverschämte Lüge. Nirgends auf der Welt bekämpft man den Terrorismus, in dem man ein ganzes Land bombardiert!"

Anne Nivat (2001) Mitten durch den Krieg: Ein Winter in Tschetschenien. Zürich: Rotpunkt.

 

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