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Henrik Müller: Wirtschaftsfaktor Patriotismus - Vaterlandsliebe in Zeiten der Globalisierung Soll man schlechte Bücher besprechen? Als verkaufsvorbereitende Beratung taugen solche Kritiken nicht, höchstens als Warnung: wer ein Geschenk für Eltern / Kinder / Kollegen sucht, sollte von diesem die Finger lassen. Nun befindet sich der durchschnittliche Leser dieser Zeitschrift kaum in Gefahr, ein Buch zu erwerben, das schon im Untertitel für die Vaterlandsliebe wirbt. Interessant ist Henrik Müllers „Wirtschaftsfaktor Patriotismus“ aus anderen Gründen.Patriotismus, das macht ihn aus, bedeutet allen alles mögliche. Wegen ihm soll man die zentrale Fußballmannschaft unterstützen und bei Versagen hassen, sich vor Ausländern nicht schämen und die Verfassung loben. Mit Patriotismus fordern die Arbeitgeber Verzicht und die Gewerkschaften die bevorzugte Ausbeutung ihrer Mitglieder. Obwohl das deutsche Kapital den Korporatismus verabschiedet hat, taugt der Vorwurf, es mangele einem an Patriotismus, immer noch dazu, die derart Angeklagten zu empören. Einen vaterlandslosen Gesellen will keiner sich nennen lassen. Sieht man aber von der öffentlichen Politrhetorik ab, steht es um die Vaterlandsliebe der Deutschen nicht gut. Dass bereits Werbekampagnen wie das peinliche „Du bist Deutschland!“ nötig sind, zeigt, wie brüchig die Identifikation mit Land und System schon geworden ist. Immerhin deutet das daraufhin, dass, bis auf besonders irre Exemplare, die Vaterlandsliebe erwidert werden muss, sonst stirbt sie mittelfristig. Henrik Müller aber erkennt den fehlenden Patriotismus der Deutschen als wirtschaftliches Problem. „Die Deutschen haben Schwierigkeiten, sich als Schicksalsgemeinschaft im globalen Wettbewerb zu begreifen“, schreibt er und dreht den Zusammenhang genau um: die ökonomischen Probleme Deutschlands kommen wegen der fehlenden Identifikation mit dem Land, nicht umgekehrt. Seit fünf Jahren arbeitet der Autor als Redakteur beim Manager-Magazin. In dieser Zeit und Funktion hat er durchaus einen Einblick bekommen, was die deutschen Unternehmer umtreibt. Trotz deutlich gestiegener Gewinne sind sie nicht zufrieden, fast so unzufrieden wie das Volk. Laut der jährlichen Meinungsumfrage „Euro-Barometer“ erwarten 26 Prozent der Deutschen, dass sie in fünf Jahren schlechter dastehen werden. Das kann Managern nicht egal sein, denn es führt zur inneren Kündigung, zum Gebärstreik und zum Angstsparen (und auch zu deutlich mehr Streiktagen, was Müller zu erwähnen vergisst). Woher diese Verzagtheit, fragt Müller scheinheilig. Liegt es gar an den Katastrophenszenarien, mit denen seit Jahrzehnten Politik und Stimmung gemacht wurde? Dass die Württemberger mit den Vietnamesen konkurrieren und die Mecklenburger mit den Ukrainern? Dass wir uns die ganzen Senioren nicht mehr leisten können? So war das doch nicht gemeint. Auch wenn die Zeiten härter werden, Deutschland kann durch eine gemeinsame Kraftanstrengung doch noch auf die Siegertreppe im Standortwettbewerb. Überzeugend argumentiert er, dass es Deutschland an einem verbindenden nationalen Projekt fehlt – nicht an einem nationalistisch-egalitären; Müller weckt da keine falschen Hoffnungen. Die Massen haben von der Globalisierung nichts Gutes zu erwarten, sondern sich in Zwangsoptimismus zu üben. Nein, die deutschen „Funktionseliten“ sind es, die sich angeblich gegenseitig blockieren und behindern. Müller beschreibt die herrschende Klasse Deutschlands als im europäischen Vergleich zersplittert. Es fehlt ihr an einem „Grundkonsens“, an einer gemeinsamen Kultur und einem Zentrum, in dem sich ein elitäres Milieu erst entfalten könnte. Noch nicht einmal entsprechende Bildungsanstalten gibt es: „In anderen Ländern sind die Führungskräfte der unterschiedlichen Schaltstellen der Macht an wenigen zentralen Eliteschulen und –universitäten zu einem übergreifenden Konsens erzogen worden.“ Für ein gemeinsames nationales Projekt aber ist ein solches Comment möglicherweise entscheidend, denn es benötigt Vertrauen und Verzichtbereitschaft. Den deutschen Eliten dagegen, zu denen Müller übrigens trotz einiger Bedenken auch die Gewerkschaftsspitzen zählt, kommen auf keinen gemeinsamen Nenner. Dazu kommen Verhältniswahlrecht und Föderalismus, die deutsche Regierungen zu Kompromissen nötigen, die Müller als faul empfindet. Sein politisches Programm sieht genauso aus, wie man es von einem leitenden Redakteur des Manager-Magazins erwartet. Gegen den Strich gelesen, ist es durchaus interessant, in der Analyse allerdings oberflächlich. Hinweise auf Korruption, kurzfristige Bereicherungsinteressen und Interessensgegensätze finden sich höchstens in versteckter Form. „Wirtschaftsfaktor Patriotismus“ bleibt seltsam unentschieden: Patriotismus ist einerseits gut und andererseits schlecht; ebenso verhält es sich mit dem Protektionismus, der zwar prinzipiell schlecht ist, aber legitim, wenn es darum geht, einen heimischen Großkonzerne zu stützen (Champions Building und Champions Keeping). Das von ihm behauptete „Versagen der Eliten auf breiter Front“ besteht, mit ihrer Zersplitterung, in ihrer Führungsschwäche, weshalb sie die breite Bevölkerung nicht mitnehmen, keine der berüchtigten Visionen entwickeln und Identifikation wecken kann. Eine kurze Zeit, während Schröder Kanzler war, herrschte laut Müller Aufbruchstimmung. Der „oberste Handlungsreisende der Republik“ traf sich „zwei-, dreimal im Monat zum Abendessen“ mit Schrempp, Mehdorn und Piëch, „immer dabei: reichlich Rotwein“, man verstand und stützte sich gegenseitig. Eine Schlüsselrolle in dem Netzwerk spielte der Berater Roland Berger, Schröders „langjähriger Freund und Scout durch die Chefetagen“. Nach der Bundestagswahl kehrt nun mit Merkel „der alte, distanzierte Stil zurück“. Das Ergebnis der sogenannten rot-grünen Reformen kann sich international sehen lassen. Müller betont beispielsweise, dass die Lohnstückkosten in Deutschland sinken, während sie anderswo steigen. Nicht nur das: „Immer noch zählen hiesige Unternehmen in vielen Branchen zur Weltspitze ... kaum ein anderes Land verfügt über eine derart beeindruckende Zahl an Weltkonzernen ... besondere Stärke: das Zusammenspiel von spezialisierten Firmen und Forschungseinrichtungen ... eines der innovativsten Länder der Erde ... mitten im EU Binnenmarkt ... großer Heimatmarkt“. Was will man mehr? Profit. Und was tun mit der Überschussbevölkerung auf dem deutschen Territorium? Selbst wenn man der NPD und ihren Anhängern den Gefallen täte und die Türken und Spanier loswürde: offiziell fünf Millionen Arbeitslose sind so auch nicht unterzubringen. Die Unternehmer, Aufsichtsräte und Politiker stehen vor einem Problem: sie hätten die Deutschen wirklich gerne gern – wenn es nur nicht so viele davon gäbe. Henrik Müller (2006): Wirtschaftsfaktor Patriotismus - Vaterlandsliebe in Zeiten der Globalisierung. Frankfurt: Eichborn. 256 Seiten für 19 Euro 90.
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