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Normalisierung als deutsche Lebensform
Dietrich Kuhlbrodt untersucht die Faszination des deutschen Kinos für den Nationalsozialismus.

„Wie es scheint, kommt die kollektive Fantasieproduktion zur Nazivergangenheit in Wellen über uns“, kommentierte der Kritiker Georg Seesslen vor zwei Jahren, als Filme wie „Der neunte Tag“, „NAPOLA“ und „Sophie Scholl“ kurz nacheinander in die Kinosäle schwappten. Selbst wer entschieden verschont werden wollte, entging den Bildern und Geschichten über Hitler und andere Volksgenossen nicht, die vom Feuilleton in den Nachrichtenteil und wieder zurück wanderten. Aufmerksamkeit erzeugt mehr Aufmerksamkeit – ein merkwürdiger Effekt von Öffentlichkeiten, der dazu beitragen mag, die Wellen- beziehungsweise Kampagnenform zu erklären, mit der sich die Medien geschlossen einem „Thema“ zuwenden, um es kurz darauf für erledigt zu erklären. Und noch etwas: mittlerweile fließen nicht nur die staatlichen Fördergelder üppiger, wenn Produzenten und Regisseure sich „den Jahren zwischen 1939 und 1945“ zuwenden, auch die Besucherzahlen stimmen. Ob Täter oder Opfer oder nur Staffage, die Deutschen mögen Nazis auf der Leinwand.
Dietrich Kuhlbrodt ist in der deutschen Filmkritik eine einzigartige Figur. Seit den frühen 50er Jahren schreibt er über Kino, arbeitete gelegentlich auch als Schauspieler, während er gleichzeitig als Staatsanwalt Naziverbrechen verfolgte. So kompetent wie kaum ein anderer kann er deshalb die jüngste Welle mit den vorangegangen vergleichen. Sein Buch „Deutsches Filmwunder“ schlägt einen Bogen von den Soldatenfilmen ab 1951 bis zu Bernd Eichingers „Der Untergang“ (2004). Es handelt von allerhand: von eigenen, hoffentlich kathartischen „Selbstversuchen und Krisenexperimenten“ in SS-Uniform, von der sogenannten Hitlerwelle der 70er Jahre und von der Zensur ausländischer Filme. Kuhlbrodt bekennt sich offensiv zur subjektiven Perspektive und vermeidet jeden Schematismus (im Stil von „restaurative Wirtschaftswunderzeit – kritischer Neuer Deutscher Film“). Dennoch wird deutlich, wie auf verschlungenen Pfaden die filmische Aussöhnung der Deutschen mit dem Nationalsozialsozialismus vonstatten ging, bis er mit zunehmender Distanz zur bloßen Episode wurde. Von schamhaftem Verschweigen kann dabei längst nicht mehr die Rede sein, sondern einem Drang, sich noch dem letzten Aspekt zu bemächtigen, der Provokationswert haben könnte. Die filmische „Vergangenheitsbewältigung“ ist in den letzten fünf Jahren zur regelrechten kulturindustriellen Wiederaufbereitungsanlage geworden, und die „Normalisierung der Vergangenheit“ zur deutschen Lebensform.
Seit allerdings „Hitler als Mensch“ (Die Welt) auf der Leinwand zu sehen war und sogar wieder Arno Breker-Ausstellungen stattfinden, sind kaum noch Tabus zum Brechen vorhanden. Polemisch geißelt Kuhlbrodt, wie beliebig und naiv sich aktuelle Produktionen wie der „Nazicollegefilm“ „NAPOLA“ oder die Fernsehbeiträge von Guido Knopp am visuellen und narrativen Material bedienen. Diese Kritik ist der stärkste Aspekt des Buchs. Aber es bietet noch mehr, beispielsweise schier unglaubliche Einblicke in die Zensurpraxis in den 50ern und 60ern. Eine Schlüsselrolle spielten damals der staatliche Interministerielle Ausschuss, der auf die Freiwillige Selbstkontrolle (FSK) der Filmwirtschaft einwirkte, wenn diese nicht in vorauseilendem Gehorsam ohnehin entfernte, was man den Deutschen nicht zumuten wollte. Hitchcocks Klassiker „Notorious“ wurde frei umgedeutet und aus den Nazispionen in der ursprünglichen Fassung Drogenhändler gemacht, „Casablanca“ um ein Drittel gekürzt, keine angeblich antideutsche Anspielung entging den Zensoren. Kuhlbrodt: „Nazis wurden nicht aus ihren führenden Positionen in Politik und Wirtschaft entfernt, dafür aber aus ausländischen Filmen.“

Nach vorherrschender öffentlicher Meinung waren etwa sechs Deutsche schuldig geworden: Hitler und Himmler, Göring wahrscheinlich und Eichmann vielleicht.

Massenwirkung erreichten deutsche Regisseure unterdessen mit Militärfilmen, in denen Militär und Nazis sich grundsätzlich feindlich gegenüber stehen. Durchaus möglich, dass es der Mythos von der unpolitischen Wehrmacht ohne Filme wie „Soldatensender Calais“ schwerer gehabt hätte, denn das deutsche Kino arbeitete eifrig daran, Krieg und Nationalsozialismus in Schicksal umzudeuten. „Die juristische Lage entsprach ganz der cinematographischen“: schuldig geworden waren nach der vorherrschenden öffentlichen Meinung etwa sechs Deutsche, Hitler und Himmler, Göring wahrscheinlich und Eichmann vielleicht. Für Filmemacher und andere Künstler war es immer gefährlich leicht, der Faszination der faschistischen Ästhetik zu erliegen. Hans-Jürgen Syberbergs Monumentalfilm „Hitler“ (1977) ist durch dessen offensiven Irrationalismus ein extremes und heute überholtes Beispiel. Die Gefahr von „Rezeptionskatastrophen“ (Kuhlbrodt) lauert anderswo: im Glauben, Kino können einfach erzählen, „wie es eigentlich gewesen ist“. Kuhlbrodt hält den neuen Historismus für das wesentliche Merkmal der jüngsten deutschen Filme: „Fiktive Authenzität und fanatische Wirklichkeitstreue sind als historical correctness unangreifbar geworden.“ So mag in dem Eichingers „Kostümfilm“ (Kuhlbrodt) noch jeder Uniformknopf der richtige sein, über Wesen und Unwesen der Naziherrschaft erfährt man nichts.
Kein Thema hat das Kinopublikum seit dem Zweiten Weltkrieg so beschäftigt wie die Nazis; manche Filme haben wichtige politische Debatten angestoßen. Eine umfassende politische Kulturgeschichte, die zeigt, wie der inländische Film das deutsche Selbstverständnis geprägt hat, steht noch aus. Deren Autoren können sich allerdings bei Kuhlbrodt einige Anregungen holen.

Dietrich Kuhlbrodt (2006): Deutsches Filmwunder - Nazis immer besser. Hamburg: Konkret Literatur Verlag.

 

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