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Digital-Darwinismus
Der Sammelband >Was sollen wir von Künstlicher Intelligenz halten?< durchmisst das weite Feld von einem Ende zum anderen – von dem scheiternden Versuch, mit seinem Mobiltelefon zu sprechen bis zur Überwindung des Menschen mit technischen Mitteln.
(KONKRET, September 2017)
Die Beiträge in "Was sollen wir von Künstlicher Intelligenz (KI) halten?" sind kurz, keiner länger als vier Seiten, dafür zahlreich. 192 Autoren verraten, was sie über denkende Maschinen denken. Fast alle sind Angloamerikaner, "führende Wissenschaftler", wie der Untertitel versichert, aber auch eine Handvoll Unternehmer und Künstler. Der Herausgeber John Brockmann, der die Internetzeitschrift Edge betreibt, knüpft seit einigen Jahren an das schöne alte Genre der Zeitschriftenumfrage an, leider ganz aus der Mode gekommen. Die Vielstimmigkeit schadet diesem Buch kein bisschen. Im Gegenteil, der Zwang, sich kurz zu fassen, sorgt dafür, dass fast alle Beiträger pointierte Thesen entwickeln, die entweder einleuchten oder wenigsten nachvollziehbar sind oder aber in ihrer ganzen Lächerlichkeit erstrahlen.
Was also sollen wir von denkenden Maschinen halten? Drei Grundpositionen lassen sich unterscheiden. "Mir ist bisher noch keine begegnet", sagen die Skeptiker – überdurchschnittlich viele Naturwissenschaftler und Techniker, allerdings kaum Informatiker. Einige von ihnen ergänzen: " … und ich glaube nicht, dass sie mit der vorhandenen Technik gebaut werden könnten." Die KI-Skeptiker weisen oft auf die begrenzte Leistungsfähigkeit der bisher bestehenden Systeme hin, etwa die mühsame Sprachsteuerung elektronischer Geräte. Die Gruppe der Abwiegler wiederum – viele Geisteswissenschaftler – akzeptiert, dass die KI zu vergleichbaren Leistungen wie Menschen in der Lage sein wird, weicht aber aus auf Metaebenen. "Okay, das Ding kann denken, aber dafür kann es weniger gut wahrnehmen / liebhaben / Volleyball spielen als ich." Die dritte Gruppe wiederum, die Enthusiasten und Utopisten, rufen laut: "Fürchtet euch, ihr Menschen … fürchtet euch sehr!"
Gerade die letzte, "transhumanistische" Position hat bisher nicht die kritische Aufmerksamkeit bekommen, die sie verdient. Denn erstens ist diese Theorie mit dem Handeln einer Elite verbunden – den Führungsebenen im Wirtschaftssektor Digitaltechnik im weiten Sinne –, zweitens prägt sie weit über den unmittelbaren Einflussbereich der Computertechnik hinaus, was wir unter Begriffen wie "Leben", "Denken", "Fortschritt" und "Menschlich" verstehen. Der Transhumanismus ist deshalb ein ganz dringender Fall für die Ideologiekritik, genauer gesagt für die Religionskritik. "Wir sind dabei, einen Gott zu konstruieren", heißt es ausdrücklich bei Sam Harris. Zwar wird die Strömung im angloamerikanischen Raum oft als "Techno-Futurismus" bezeichnet, aber das trifft sie eben nur zum Teil. Ihre Anhänger fasziniert nicht die Technik im eigentlichen Sinn – die Apparate, die Wissenschaft –, sondern die religiösen Motive unter der Oberfläche. Es geht ihnen um Unsterblichkeit, Schöpfung, Transzendenz.
Zu den Transhumanisten gehören durchaus erfolgreiche Unternehmer und Wissenschaftler, die allerdings völlig spinnerten Ideen anhängen, etwa der Vorstellung, das menschliche Denken ließe sich über die Aufzeichnung der Neuronen im Gehirn in Computer-Software übertragen ("Brain Upload“). Dadurch werde das Bewusstsein vom Körper abgetrennt und damit potentiell unsterblich (Stecker ziehen verboten!). Neben dem Cyborg, der Mensch-Maschine, ist ein transhumanistisches Hauptmotiv die Ankunft einer überlegenen maschinellen Intelligenz. Die Algorithmen werden sich in Bälde verselbständigen und beständig verbessern, deshalb wird die KI die menschliche Denkfähigkeit übertreffen („Singularität“). An den komplizierten theologischen Diskurse zur Frage, wie sich diese entstehende Wesenheit zu uns (immerhin: ihre Schöpfer!) verhalten wird, wird der kryptoreligiöse Charakter des Transhumanismus abermals deutlich.
Allerdings handelt es sich sozusagen um eine vulgärdarwinistische Religion. Die überlegene Spezies (das KI-Bewusstsein) wird nämlich, so die gängige Einschätzung, den zweiten Sieger im Kampf um Lebensraum auslöschen oder wenigstens unterwerfen, weil sie alle Ressourcen für ihre Ausbreitung monopolisieren wird. "Die technische Entwicklung einer umfassenden Intelligenz könnte das Ende der Menschheit bedeuten", erklärte vor drei Jahren der berühmte Physiker Stephen Hawkings, offenbar endzeitlich gestimmt. "Sobald die Menschen eine Intelligenz entwickeln, die sich von alleine weiterentwickelt, die sich mit zunehmender Geschwindigkeit verbessert, können die Menschen nicht mehr konkurrieren und werden verdrängt werden. Ihre Entwicklung wird durch die langsamere biologischen Evolution begrenzt." "Es liegt im Wesen der Intelligenz zu wachsen, sich zu erweitern wie die Erkenntnis selbst", schreibt Daniel Hillis in dem vorliegenden Band. "Wie wir auch werden die Denkmaschinen ehrgeizig und machthungrig sein." Man befürchtet, dass die "Superintelligenz" mit den Menschen so umspringen wird wie wir mit alle anderen Lebewesen des Planeten, die wir unterjocht, umgeformt und dezimiert haben. Stephen Hawkings glaubt übrigens auch, die einzige Chance der Menschheit bestünde darin, mittelfristig das Weltall zu besiedeln und weitere Planeten zu verbrauchen.
Das alles ist natürlich sehr weit hergeholt: Computer-Software, die heutzutage im besten Fall statistische Häufungen findet und Muster erkennt, soll demnächst strategisch handeln? Die Transhumanisten unterstellen Absichten, obwohl die Algorithmen lediglich (nach unseren Vorgaben) vor sich hin optimieren und keine Ahnung haben, was sie da tun. Grundsätzlich fehlt der KI, wie Murray Shannahan betont, "die kognitive Integration, was bedeutet, dass sie all ihre geistigen Ressourcen – Wahrnehmungen, Erinnerungen und Fertigkeiten – zur Verfolgung ihrer Ziele in der aktuellen Situation in Anschlag bringen könnte." Altmodisch könnten wir auch sagen: sie verfügt nicht über Willen und setzt keine Zwecke.
Bezeichnend sind die Vorstellungen, die sich die Transhumanisten von ihrer eigenen Gattung machen. Günther Anders sprach von der "prometheischen Scham" des Menschen angesichts seiner schönen und mächtigen Apparate. Sie nehmen das wörtlicher, als der Philosoph es sich hätte vorstellen können. Sie verachten das Organische. Ich übertreibe? "Das Denken biologischer Gehirne (sic!) wird ein kurzer Vorläufer der leistungsfähigeren Erkenntnisvermögen des anorganischen, posthumanen Zeitalters sein", schwärmt Martin Rees. "Die Evolution auf anderen Welten, die um Sterne kreisen, die älter als die Sonne sind, könnte einen Vorsprung besitzen. Wenn ja, dann sind Außerirdische wahrscheinlich schon vor langer Zeit über das organische Stadium hinausgegangen." Wie die Häretikerbewegung der Katharer wollen die Transhumanisten das Leibliche überwinden und die Unsterblichkeit erreichen, mit technischen Mitteln selbst zu schönen Maschinen werden. Nur sieht das transhumanistische Paradies haargenau so aus wie das Diesseits, bis hin zu der obszönen Idee, das unsterbliche "Ich-Programm" könne mit Hilfe eine Roboters Sex haben – es handelt sich um eine Heilslehre ohne Transzendenz, eine Eschatologie in Comic-Version.
In seinem Vorwort fordert der Herausgeber John Brockman einen Neuanfang. "Es ist an der Zeit, Alan Turing und andere KI-Pioniere zu ehren, indem wir ihnen ihre wohlverdiente Ruhe geben. Was passiert jetzt?" Diesen Anspruch kann das Buch nicht einlösen – die neue Debatte ist die alte. Marvin Minsky, der Ahnherren der Disziplin, dem dieses Buch gewidmet ist, antwortete in den 1960er Jahren auf die Frage nach seinem finalen Ziel: "Den Tod überwinden." Schon damals neigten er und seine Kollegen dazu, biologisierende Metaphern für mathematische und technische Verfahren zu finden – "zelluläre Automaten", "künstliche neuronale Netze" - was echt abgefahren klingt, bis man versteht, worum es sich handelt.
In ihrem Beitrag stellen Techniker von Google Deep Mind einen „Frühling der KI“ in Aussicht. Das spielt an auf den oft bemühten langen Winter von ungefähr Mitte der 1970er bis Mitte der 1990er Jahre, als keine Ergebnisse vorzuweisen und kaum Forschungsgelder einzustreichen waren. Dann allerdings kamen echte Erfolge im Maschinenlernen. Sie beruhten auf gestiegener Rechengeschwindigkeit, außerdem den großen Datenmengen, die durch die massenhafte Internetnutzung anfallen. Und vielleicht ist dieser kurze Frühling schon wieder vorbei. Dass die Rechenpower weiterhin so schnell steigen wird wie in den vergangen Jahrzehnten, ist unwahrscheinlich, weil die Chiphersteller an Grenzen der Miniaturisierung stoßen. "Denkende Maschinen = alte Algorithmen auf schnelleren Computern", urteilt der Ingenieur Bart Kosko knapp. Das ist nicht ganz gerecht: Auch die Algorithmen sind besser geworden, und so werden neue Anwendungen möglich wie die Spracherkennung oder, irgendwann vielleicht, automatisierter Individualverkehr. Aber Autonomie? Begreifen? Bewusstsein? Die Debatte über die denkenden Maschinen, das macht dieses Buch klar, wird noch immer von Phantasien, Ängsten und Erlösungshoffnungen angetrieben.
John Brockman (2017) Was sollen wir von Künstlicher Intelligenz halten? Die führenden Wissenschaftler unserer Zeit über intelligente Maschinen. Aus dem Englischen von Jürgen Schröder. Frankfurt am Main: Fischer.
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