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Im Trüben gefischt
Byung-Chul Han kritisiert den Terror der Transparenz. Leider kommt dabei rückwärtsgewandte Romantik heraus.
(KONKRET April 2012)

Zu den vielen fälschlicherweise Lenin zugeschriebenen Zitaten (vergleiche Georg Fülberths KONKRET 3/12) gehört die Behauptung, das Vertrauen zwar ganz gut, aber Kontrolle besser sei. Dieser Ausspruch läge unter dem Niveau Lenins. Denn in Wirklichkeit ist Kontrolle gar nicht besser als Vertrauen. Kontrollieren kostet Zeit und Geld, und es kostet wiederum Vertrauen – nämlich das Vertrauen der Kontrollierten. Außerdem ist Kontrolle in vielen Fällen überhaupt nicht erfolgreich, weshalb auch die Kontrolleure einer Erfolgskontrolle unterzogen werden müssen.
Belegt ist dagegen die Ankündigung des marxistischen Historikers Franz Mehring, das siegreiche Proletariat werde einst die Geschäftsbücher der Bourgeoisie gründlich prüfen. „Lege den Finger auf jeden Posten“, paraphrasierte Bertolt Brecht später. „Frage: Wie kommt er hierher?“ Lenin, Mehring und Brecht hatten eine klare Vorstellung davon, warum Geschäftsgeheimnisse und politische Absprachen im Hinterzimmer unverzichtbar sind, wenn die Gesellschaft auf Gewerbefreiheit, Konkurrenz und politischer Repräsentation beruht. Wer (kontrolliert) wen?
Seit den 1990er Jahren machen immer mehr Staaten einen Teil der Daten zugänglich, die im politischen und Verwaltungsbetrieb anfallen. So sollen die Bürger in den Stand versetzt werden, Korruption und Amtsmißbrauch zu erkennen. Die „Informationsfreiheit“ gilt als Voraussetzung für die „Beteiligung“ der Bürger, sie dient der „demokratischen Willensbildung“. Zusammen mit der „Transparenz“ steht sie heute im Zentrum der demokratischen Ideologie. Schön formuliert ist das im Programm der Piratenpartei, im dem es etwa heißt, Staat und Verwaltung müßten ihren „Dienstleistungscharakter“ anerkennen. Die Forderung nach mehr Öffentlichkeit, so alt wie die repräsentative Demokratie, wird hysterisch. In der völlig vernetzten Welt sollen die Bürger ihre Vertreter auf Schritt und Tritt überwachen – wozu sie allerdings weder fähig sind, noch Gelegenheit oder Lust haben.
Angesichts der naiven Forderung nach einer Informationsfreiheit, die sonst alles beim alten beläßt, kommt Byung-Chul Han das große Verdienst zu, auf den grundsätzlichen Widerspruch von Transparenz und Vertrauen hinzuweisen. „Die Forderung nach Transparenz wird gerade da laut, wo kein Vertrauen mehr vorhanden ist“, schreibt der deutsch-koreanische Philosophieprofessor in seinem gerade erschienenen Buch Transparenzgesellschaft. Diese sei nämlich „eine Gesellschaft des Mißtrauens, die aufgrund des schwindenden Vertrauens auf Kontrolle setzt“. Als politische Utopie ist die Transparenz ein Krisenphänomen, Ausdruck einer unvollständigen Desillusionierung.
Byung-Chul Han ist ein aufsteigender Stern am Feuilleton-Himmel. Sein Buch über die Müdigkeitsgesellschaft (2010) verkaufte sich prächtig; auch viele Linke, zum Beispiel aus der Occupy–Bewegung, lesen es fasziniert. Han schrieb seine Doktorarbeit über Martin Heidegger und lehrt an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, die wiederum Heidegger-Fan Peter Sloterdijk leitet.
In seinem neuen Werk entziffert Han die Transparenz als Herrschaftsprojekt: „Transparent werden die Dinge, wenn sie sich widerstandslos in glatte Ströme des Kapitals, der Kommunikation und der Information einfügen.“ Alles werde austauschbar und erhalte seinen Preis: „Das Geld schafft jede Inkommensurabilität ab.“ Ziel der Transparenz sei eine Beschleunigung des Austauschs – wobei Han in postmoderner Manier darauf verzichtet, Unterschiede zwischen Ideen, Waren und Menschen zu machen. Die sozialen Verkehrsformen müssen nun ohne jede Distanz auskommen. Die Gesellschaft der Transparenz sei eine der Intimität, Ausstellung und Pornographie, der Evidenz, Information und Kontrolle. Die völlig transparente Gesellschaft sei leer beziehungsweise tot. Das Kapital mache sich daran, das Menschliche an den Menschen abzuschaffen.
Diese These entfaltet Han mit großem literarischen Aufwand. Zum bunten Zitatereigen zählt der späte, allzu späte Nietzsche ebenso wie Roland Barthes und natürlich Heidegger, Plato ebenso wie Richard Sennett. Sein Anschauungsmaterial bezieht Han aus dem Netz mit seinen vielen Merkwürdigkeiten. Gesellschaft als Kooperation oder Konflikt kommt allerdings in diesem Rundumschlag nicht vor, sondern lediglich Vereinzelte vor dem Bildschirm, Asoziale, die über soziale Medien kommunizieren. Mit Transparenz sei Negativität unvereinbar. Deshalb entstehe heute eine „Positivgesellschaft“, die alles produktiv zu machen versucht – woran ihre Insassen mit all ihrer Kraft mitwirken. Schon in Hans Essay über die „Müdigkeitsgesellschaft“ waren es die Individuen selbst, die ihre Kreativität, ihr ganzes Sein in den Dienst der Produktivität stellen und sich dem Zwang zur Selbstoptimierung unterwerfen. Nach eben diesem Muster beschreibt der Autor nun die Überwachung. „Freiheit erweist sich als Kontrolle“, lautet der letzte Satz. Der Feind steckt in mir; im digitalen Panoptikon ist Überwachung horizontal geworden. Daß sich Transparenzgesellschaft am sozialphilosopischen Modell einer „Kontrollgesellschaft“ orientiert, ist die eigentliche Schwäche dieses Buchs. Statt auf etwaige Widersprüche oder Unterschiede einzugehen, zeichnet Han das Bild einer zwar schrecklichen, aber immerhin egalitären Gesellschaft, in der alle demselben Transparenzzwang unterliegen.
Gegen die Idee einer nach-privaten Gesellschaft, die noch die letzten Winkel ausleuchtet, wendet Han ein, daß menschliche Beziehungen allzu scharf betrachtet kaputt gehen. Keine Liebe hält es aus, unters Mikroskop gelegt zu werden. Aber so naiv die Befürworter einer post-privacy sind, die sich selbst unter Dauerbeobachtung stellen wollen, so obskurantistisch ist Hans Kritik an der Vernetzung. Stattdessen plädiert er für das Geheimnis, das Unsagbare und Unberechenbare. Und weil angeblich alle gleichermaßen und auf gleiche Weise durchleuchtet werden, ist seine Kritik an der Gesellschaft der Transparenz letztlich – banal.

Byung-Chul Han: Transparenzgesellschaft. Matthes & Seitz, Berlin 2012.

 

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