Home

Texte

Kommentar

Rezensionen

Radio

Schublade

Bilder

Links

 

Kontakt

 

 

 

 

 

(Junge Welt, 2. 1. 2008)

Der Krieg und der Terror
Bernd Greiner verlangt bessere Umgangsformen für die Kriegführung.

Was haben der Krieg im Irak und der in Vietnam gemeinsam? Seit Monaten wird in den USA diese Frage debattiert. Beide enden ohne Sieg, lautet die häufigste Antwort. Aber die Ähnlichkeiten gehen noch weiter. Vor einigen Wochen argumentierte Bernd Greiner in der Zeitschrift Mittelweg 36, beide seien "Kriege ohne Fronten" – Guerillakriege, die der vermeintlich Stärkerer nicht für sich entscheiden kann und die eben deshalb schrankenlose Gewalt freisetzen. Auch die politische Konstellation sei vergleichbar; damals wie heute habe sich die amerikanische Exekutive von parlamentarischen Kontrollen und Beschränkungen weitgehend befreit.
Bernd Greiner ist Politikwissenschaftler und Mitarbeiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung. In "Krieg ohne Fronten" untersucht er die Dynamik des "asymmetrischen Krieges" in Vietnam. Zehn Jahre lang versuchten die Vereinigten Staaten vergeblich, Süd–Vietnam zu befrieden. Je deutlicher sich abzeichnete, dass ein militärischer Sieg nicht zu erreichen sein würde, desto radikaler wurden die Kampfmethoden. Greiner hat die Akten zweier amerikanischer Untersuchungsausschüsse über Kriegsverbrechen ausgewertet. Seiner Meinung nach belegen diese Quellen, dass Massaker und Übergriffe gegen Zivilisten an der Tagesordnung waren. Dabei widersteht Greiner der Versuchung, die Gegner der USA zu glorifizieren. Auch der Vietcong hat im großem Umfang gefoltert und gemordet.
"Gemeinhin wird über den Krieg geschrieben, ohne dass der Krieg als solcher beschrieben wird", kritisiert Greiner. Ihm geht es nicht um die Bilder oder Voraussetzungen von Kriegen, sondern um die Sache selbst. Um die exzessive Gewalt in Vietnam zu erklären, greift er auf sozialpsychologische und militärtaktische Überlegungen zurück. Die Soldaten – übrigens “die Jüngsten und Ärmsten der US–Gesellschaft” – seien im Kampf mit einer kaum greifbaren Guerilla im Wortsinn “demoralisiert” worden. Im asymmetrischen Krieg bewegen sie sich die Besatzer voller Angst durch eine fremde und feindliche Umgebung. Sie treten in Sprengfallen und werden von Heckenschützen attackiert, ohne je die Chance zu erhalten, sich als Kämpfer zu beweisen und zurückzuschlagen. Die Guerilla greift aus dem Hinterhalt an und verschwindet wieder. Sie demütigt ihren Gegner, der seine Frustration an der Zivilbevölkerung auslässt, argumentiert Greiner.
Aber asymmetrische Kriege sind nicht nur brutal wegen der seelischen Verfassung der Soldaten. Ganz grundsätzlich und unabhängig von aller Ideologie greifen beide Seiten zu Gewalt gegen Zivilisten. Der Starke will die Entscheidung erzwingen und trifft die Bevölkerung statt den Gegner. Der Schwache wiederum will die Entscheidung hinauszögern und die Besatzer in einem langwierigen Krieg zermürben. Gegen jede Volkskriegsromantik zeigt Greiner, dass gerade das Terrorakte nahelegt. “Der Erfolg der Schwachen hängt von einer dauerhaft hohen Leidens- und Opferbereitschaft des zivilen Umfelds ab.” Diese Bereitschaft mag in nationalen oder politischen Überzeugungen wurzeln oder durch die Brutalität der Besatzer erst entstehen. Wer aber leugnet, dass Guerillatruppen die Loyalität der Bevölkerung erpressen, lügt.
Greiner bringt viele mögliche Ursachen für die vietnamesische Katastrophe ins Spiel. Das System der sogenannten “Leichenzählungen” habe dazu führte, dass der Unterschied zwischen Kombattanten und Zivilisten verwischt wurde. Als erfolgreich galten Offiziere, die tote Vietcong vorweisen konnten; ihre Angaben wurden aber kaum kontrolliert. Andererseits veranlassten Bodentruppen Bombardierungen von Dörfern, nur weil sie das Risiko eines Angriffs vermeiden wollten, ohne dass es nur einen Hinweis gegeben hätte, dass sich dort feindliche Kämpfer aufhielten. Der historische Kontext spielt dagegen in "Krieg ohne Fronten" keine Rolle.
Auf fast 600 Seiten malt Bernd Greiner ein Bild des Vietnamkrieges in grellen Farben und mit drastischen Zitaten. Das Buch ist weniger eine Analyse als eine epische Schilderung zahlreicher Massaker, die seine Kernthese plausibel machen soll. Dazu legt er die einfachen Soldaten sozusagen auf die Couch: Sie brauchen Führung und Erfolgserlebnissen, weil sie sonst foltern, vergewaltigen und morden. Der Krieg soll mittels Kriegsrecht zivilisiert werden, wofür Gerichte und Parlamente zuständig sind. Ihn empört, dass die Militärgerichte kaum einen Soldaten bestraften, obwohl sich in Umfragen 10 Prozent selbst als Täter zu erkennen gaben. Noch mehr aber empört ihn, dass die amerikanische Antikriegsbewegung die Zusammenarbeit mit den Militärgerichten und parlamentarischen Untersuchungsausschüssen verweigerte, weil sie statt individuelle Bestrafung ein Ende des Kriegs wollte.
Kurz, Greiner schreibt aus der Perspektive des Politik- und Feldherrenberaters. Davon abgesehen ist "Krieg ohne Fronten" ein guter Anlass, um über die Wirklichkeit des Krieges zu sprechen und die Propaganda beiseite zu lassen.

Bernd Greiner (2007) Krieg ohne Fronten. Die USA in Vietnam. Hamburg: Hamburger Edition.

 

Mehr Rezensionen