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Auf den Geschmack gekommen – Streik bei Gate Gourmet
"Ihr seid alle entlassen!" Mit einem Megaphon sprachen die Manager von Gate Gourmet im August 2005 am Londoner Flughafen Heathrow die Kündigungen aus. Die Firma beliefert Fluggesellschaften mit Essen und Trinken. Damals wollte das Management eine widerspenstige Belegschaft loswerden, mit der Reaktion hatten sie nicht gerechnet. Die Arbeiterinnen und Arbeiter vor Ort zeigten sich solidarisch und traten spontan in Streik. Einige Tage lang ging in Heathrow, einem der zentralen Knotenpunkte der internationalen Luftfahrt, gar nichts.
Einige Monate später kam es in Düsseldorf zum nächsten Streik bei Gate Gormet. Wie viele andere Fluggesellschaften steckte der Konzern damals in finanziellen Schwierigkeiten. Mit allen Mitteln versuchte er, die Produktivität steigern. 2002 kaufte die Private Equity–Firma Texas Pacific Group den Airline-Caterer auf und holte die Berater von McKinsey, die nach Möglichkeiten für weitere Rationalisierungen suchten. Als die Belastungen schließlich unerträglich wurden, brach sich endlich die Wut Bahn. Der Streik begann im September und dauerte sechs Monate – ein Zeichen von Hartnäckigkeit und gleichzeitig eines der Schwäche. Anders als in England blieb eine breite Solidarisierung aus. Die Arbeitgeber zeigten sich unnachgiebig und organisierten den Streikbruch mit Leiharbeitern. Weder der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gastsstätten (NGG), noch VER.DI, noch dem Kreis der linken Unterstützer fielen darauf passende Antworten ein. Den schließlich erreichten Abschluss empfanden die Streikenden keineswegs als Erfolg, dennoch ist ihr persönliches Fazit oft überraschend positiv. Der Ausstand war für sie ein Akt der Selbstbehauptung gegen die Zumutungen durch grenzenlose Verdichtung und Flexibilisierung. Bezeichnenderweise hing am Streikzelt lange ein Transparent mit einem einzigen Wort: „Menschenwürde!“ Das ist wenig, aber nicht nichts: Arbeiter aller Länder, ihr habt eine Selbstachtung zu verlieren.
In vielem war dieser Streik typisch, auch in der Rolle der beteiligten Gewerkschaften. Früher galt der Linken die Autonomie der Arbeiter als Bedingung dafür, den strukturellen Reformismus von politischen Parteien und Gewerkschaften zu überwinden. Fast scheint es, als sei sie heute Voraussetzung, damit es überhaupt zu effektiven Arbeitskämpfen kommt. Denn ob in Nürnberg, Bochum oder zuletzt in Berlin, immer sorgte die Gewerkschaft zuverlässig dafür, dass der Ausstand pünktlich beendet wurde, bevor er die Produktion zum Stocken bringen und so Verhandlungsdruck erzeugen konnte.
„Sechs Monate...“ ist sorgfältig gemacht, enthält viele Fotos und Interviews und eine ausführliche Chronik. Es ist ein Lesebuch, in dem viele Stimmen zu Gehör kommen, von linksradikalen Theoretikern bis zu Arbeitern, die offenbar große Mühe haben, die sozialpartnerschaftliche Ideologie hinter sich zu lassen. Frei von Jargon und ideologischen Vorannahmen erscheinen die Verhältnisse so, wie sie sind. Die Leitfrage: wie lässt sich heute Arbeitermacht entfalten? Wen das interessiert, sollte es sich kaufen.
Flying Pickets (2006) Auf den Geschmack gekommen. Sechs Monate Streik bei Gate Gourmet. Berlin / Hamburg: Assoziation A.
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