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Dietmar Dath, Die salzweißen Augen

David schreibt an seine Jugendliebe Sonja. Er will sich erklären: warum er sich eigentlich diese schrecklichen Filme anschaut, in denen Blut und Eingeweide großflächig über den Bildschirm verteilt werden, warum er diese furchtbare Musik anhört. Das fragte sie ihn auf einem süddeutschen Schulhof in den 80er Jahren; seitdem ist viel passiert: Drogenmißbrauch und Zusammenbruch, Wegzug, Karriere. David aber kann weder seine Mitschülerin noch ihre Frage vergessen.
Dietmar Dath, der Autor dieser originellen Mischung aus Essay und Roman, ist in der tristen Landschaft des deutsches Feuilleton eine Ausnahme, seine Gegenstände sind originell und wichtig. Hier geht es um das ganz Böse, um Heavy Metal, Pornographie, Horrorcomics und Zombiefilme. Dath argumentiert mit politischen Zusammenhängen und zitiert Obskures, mischt Autobiographisches mit Zeitgeist. Lange war er Redakteur bei Spex, mittlerweile hat ihn "die Droge mit dem größten Suchtpotential: Arbeit" zur FAZ geführt.
Allerdings hält Dath, auch hierin eine Ausnahme, den Konflikt aus zwischen Fan und Kritiker, den Widerstreit zwischen der Begeisterung für den Schund und seiner kulturellen und politischen Einordnung, ohne ihn nach der einen oder anderen Seite aufzulösen. Dath zögert nicht, Regisseure wie Rocco Siffredi als die Frauenhasser zu bezeichnen, die sie sind. Seine Begeisterung für den Schund ist nicht unkritisch: Drastik ist für ihn das kulturindustrielle Selbstbild des modernen Menschen, das entsteht, wenn das Versprechen der Moderne auf Befreiung nur Ideal bleibt.
Über weite Strecken liest sich die Argumentation als anti-relativistisches und anti-postmodernes Traktat. Folgerichtig wendet sich David gegen Kulturtheoretiker wie Jean Baudrillard oder Jaques Derrida, für die Bedeutung nur ein kontingenter Effekt beim Gleiten von Zeichen zu Zeichen ist, beruht doch die Drastik mehr als jede andere Kunstform auf der Widerspiegelung: ohne die Vorstellung, dass das Bild von echtem Schrecken und echter Lust spricht, funktioniert weder Horror noch Pornographie. Insofern ist Daths Geschichte auch eine Kritik an Poplinken wie Diedrich Diedrichsen, die gerade in die Künstlichkeit der poppigen Phantasiewelt für "progressiv" beziehungsweise "emanzipativ" halten. (Die Unbestimmtheit solcher Codewörter stößt Dath ohnehin ab.) Er verteidigt die Drastik mit aufklärerischem Impetus: Sie verbürgt Deutlichkeit. Kein avantgardistischer Kunstanspruch und keine Hemmung verhindert, das sie zur Sache kommt. "Die Vernunft im cartesischen, leibnizschen, voltaireschen, diderotschen, hegelschen oder marxschen Sinn hat fast eine so schlechte Presse wie der Ekelfilm und das Pornoheft."

Dietmar Dath (2005) Die Salzweißen Augen: Vierzehn Briefe über Drastik und Deutlichkeit. Frankfurt: Suhrkamp.

 

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