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Copyright & Copyriot
Informationstechnologie ist politisch – Sabine Nuss erklärt, warum.
Wenn sich im Juni 2007 die Staatchefs der acht mächtigsten Länder der Welt an der deutschen Ostseeküste treffen werden, steht ein Thema ganz oben auf ihrer Tagesordnung: die Ausweitung und Durchsetzung des Patent- und Urheberrechts weltweit. Es soll Druck auf die Schwellenländer und andere Trikontstaaten aufgebaut werden, damit die gegen Verstöße, illegales Kopieren und Produktfälschungen vorgehen. Den Wünschen der Kultur- und Medienindustrie entsprechend wollen Merkel, Bush und die anderen außerdem dem chaotischen und preiswerten Zirkulieren von Informationen, Musik und Texten übers Internet ein Ende machen. Dabei können sie auf unerwartete Unterstützung zählen: während Bürgerrechtler und Dritte Welt-Gruppen gegen die entsprechenden Handelsabkommen kämpfen, forderte im Dezember eine Gruppe britischer Popmusiker – darunter U2, Peter Gabriel und Roger Waters –, das englische Urheberrecht von 50 auf 95 Jahre zu verlängern und so ihre Tantiemen zu sichern!
Die Auseinandersetzung um das sogenannte geistige Eigentum sind in vollem Gange, wobei die ideologischen und technischen Manöver der Copyright-Lobby öffentlich kaum wahrgenommen oder verstanden werden. Das Schlachtfeld zeigt ein verwirrendes Bild und ganz verschiedene Akteure: globale Medienkonzerne, Jugendliche, die schwarzgebrannte Musik-CDs auf dem Pausenhof tauschen, Aktivisten für Open Source-Programme, Kulturschaffende... Wie offen oder verschlossen Informationen sein sollen, ist dabei auch unter jenen umstritten, die am Kapitalismus nichts auszusetzen haben. Manche Linke sehen dennoch im kostenfreien Austausch von Musik und Computerprogrammen übers Internet bereits den Vorschein einer Gesellschaft ohne Privateigentum.
Schon deshalb lohnt es sich die Lektüre von „Copyright & Copyriot“, Sabine Nuss verschafft Überblick. Das Buch ist eine überarbeitete Fassung der Dissertation der Berliner Politologin. Die akademische Herkunft ist dem anspruchsvollen und fremdwortgesättigten Buch anzumerken, aber Nuss bemüht sich um Systematik. Es eignet sich auch für Neueinsteiger in die marxistische Kritik, weil einige Grundbegriffe beispielhaft erklärt werden. Im ersten Teil wird der „informationellen Kapitalismus“, der auf den neuen Kommunikations- und Computertechnologien beruht, definiert. Es zeigt sich, dass auch im digitalen Zeitalter der technische Fortschritt die kapitalistischen Grundlagen nicht angetastet hat. Zum Problem wird die „Vervielfältigungsmaschine Internet“ fürs Kapital aber, weil sich die Produkte nun beliebig oft und ohne Qualitätsverlust kopieren lassen. „Die überall vorhandenen Inhalte müssen künstlich verknappt werden“, schreibt Nuss, um sie als Waren, als „geistiges Eigentum“ zu behandeln. Der amerikanische Soziologe Erving Goffman fand dafür einen ebenso paradoxen wie fetischistischen Ausdruck: „Von allen Dingen lässt sich Wissen am schwierigsten bewachen, denn es kann gestohlen werden, ohne es fortzunehmen.“
Mit Kopiersperren beispielsweise soll Knappheit künstlich erzeugt werden, um die geistige Zirkulationssphäre profitabel zu machen. Dieser Versuch stößt auf Widerstand („Copyriot“) und technische Schwierigkeiten, auf fehlendes Unrechtsbewusstsein unter den Konsumenten und internationale Interessensgegensätze. Ob sich in Zukunft die Verwertung im Internet gänzlich durchsetzen wird, ist der Autorin zufolge offen: „Bislang konnten noch Barrieren des eigentumsrechtlichen Urheberschutzes mit mehr oder weniger Phantasie und Aufwand umgangen werden.“
Sehr interessant liest sich, welche gewaltsamen und aufwändigen Formen der Schutz des Eigentums annehmen könnte – das geht alle (Nutzer) an. Sabine Nuss will diese Debatte politisieren. Leider klingt ihre theoretische Kritik stellenweise sehr, als liefe die Verwertung wie eine Maschine reibungslos ab. Beschreibungen der konkreten Auseinandersetzungen und anschauliche Beispiele gibt es kaum. Stattdessen beharrt sie darauf, dass die kritischen Kategorie, die Marx ff. entwickelten, nach wie vor gelten. Mit ihm argumentiert sie gegen die „brutale Interessiertheit am Stoff“, durch die spezifisch kapitalistischen Formen von Arbeit, Eigentum usw. erscheinen, als habe es sie immer schon gegeben – nicht zu verwechseln mit einem bornierten Desinteresse am Stofflichen, hier der konkreten Arbeit und Praxis.
Dennoch ist diese Untersuchung durchaus lesenswert. Nuss zeigt am Beispiel von Open Source und Internetdiensten wie Napster, wie sehr das „Problem des geistiges Eigentums“ auf kapitalistischen Voraussetzungen beruht. Sowohl „Gegner“ als auch „Befürworter“ eines strikteren Copyright-Regimes argumentieren dabei auf derselben ideologischen Grundlage. So wendet sie sich gegen die oft banale Kritik der globalisierungskritischen Bewegung. Wenn beispielsweise immaterielle Güter wie Bildung keine Ware sein sollen – warum dann der Rest? Vielleicht hat ihre theoretische Arbeit ja unmittelbar politische Auswirkungen, wenn im Juni bei den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm bessere Parolen zu hören sind.
Sabine Nuss (2006) Copyright & Copyriot. Aneignungskonflikte um geistiges Eigentum im informationellen Kapitalismus. Münster: Westfälisches Dampfboot.
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