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Der Exorzist
(Erschienen in der Konkret, November 2006)

"Gestern war der Teufel hier, an diesem selben Ort. Dieser Tisch, an dem es nun an mir ist, zu reden, riecht es immer noch nach Schwefel" – seine Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen Ende September begann der Präsident Venezuelas mit einem Affront. Wie das enfant terrible unter den Staatschefs seinen amerikanischen Amtskollegen beschimpfte, entsprach entschieden nicht den diplomatischen Gepflogenheiten. Für den Krieg Israels gegen den Libanon machte er George W. Bush – den "Herrn der Welt" und ein "imperialistischer Diktator" – direkt verantwortlich und sparte in der Folge weder an Invektiven noch messianischer Rhetorik. Während das amerikanische Imperium verzweifelt um seine Vormacht kämpfe, sei das System der Vereinten Nationen, das aus dem 2. Weltkrieg entstand, sei zusammengebrochen. Chávez will es ersetzen, sonderlich radikal sind seine Vorschläge allerdings kaum: er will das Vetorecht der ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat abgeschaffen und die Macht des UN-Präsidenten gestärkt sehen. Das entspricht ganz der Methode, die der Präsident in seiner Heimat perfektioniert hat: mit großer Geste und Verbalradikalität verkündet er vergleichsweise bescheidene Reformen.
Die Globalisierungskritik liebt den ehemaligen Putschisten, und Chávez erwidert diese Zuneigung. Gerne würde er international wiederholen, was ihm in Venezuela gelang: die sozialen Bewegung in sein Projekt einspannen. In seiner Rede empfahl er den US-Bürgern das letzte Werk Noam Chomskys (die entsprechend dafür sorgten, dass es auf der Bestsellerliste nach oben schoss, während das Buch zuvor als die erwartbare Nörgelei eines Antiamerikaners kaum beachtet wurde). Es war nicht das erste Mal, dass er den US-Präsidenten zum Leibhaftigen erklärte. In seiner manichäischer Ideologie werden die Völker en gros vom Imperialismus unterdrückt, und das Märchen von den Guten gegen die Bösen ist die Leitlinie seiner Außenpolitik: wer ein Feind der Amerikaner ist, kann auf Chávez’ politische und auch wirtschaftliche Unterstützung zählen, hießen sie nun Alexander Lukaschenko oder Mahmud Ahmadinedschad. Das Projekt der „mulitpolaren Welt“ soll eine breite Front gegen die USA schmieden. Sein Auftritt gab einen Vorgeschmack auf die nächsten zwei Jahre, in denen Venezuela als nichtständigem Mitglied des Sicherheitsrats vertreten sein wird. Denn es war eine Wahlrede, die er vor der Vollversammlung hielt, und Chávez spielte auf der internationalen Bühne auch für das heimische Publikum. Im Dezember finden in Venezuela Wahlen statt.

Das Verhältnis der deutschen Linken zum Führer der "bolivarischen Revolution" ist ebenso gespalteten wie das der sozialen Bewegungen in seiner Heimat. Während die einen ihn angesichts seiner außenpolitischen Allianzen zum Krypto–Faschisten erklären, gilt der Gegenseite sein sogenannter "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" als Hoffnungsträger für einen, und stramme Antiimperialisten sehen über die Widersprüche der venezolanischen Regierungspolitik großzügig hinweg. Aber weder Dämonisierung noch Solidarität taugen, um den Aufstieg des Armeekommandanten zu erklären. Chávez ist weder der Heilsbringer, für den er sich hält, noch ein Militärdiktator alten Stils, sondern Ausdruck der Krise des venezolanischen politischen Systems seit 1989.
Eine neue umfassende Biographie von Christoph Twickel versucht nun, einige Missverständnisse auszuräumen. Sie ist gut geschrieben und zeugt davon, dass sich ihr Autor lange und intensiv mit Lateinamerika beschäftigt hat. Seine Analyse zeigt, wie der Kampf um die venezolanische Ölrente einen Klientelismus hervorgebracht hat, der die Klassengegensätze im Land überlagert. Er verschweigt nichts, was am Aufstieg Hugo Chávez dubios ist, und dennoch kann er sich nicht von der Personalisierung lösen. Das mag auch an der Schwierigkeit liegen, eine Biographie zu schreiben, die gleichzeitig die vergangenen fünfzig Jahre der venezolanischen Geschichte erzählen muss. Twickel liefert eine Helden- bis Heiligengeschichte. Der „brillanter Rhetoriker“ arbeite an einer besseren Welt, "in seiner Gefolgschaft" seien "die Menschen aus den Barrios zu politischen Subjekten" geworden, heißt es da, ohne dass das Widersinnige dieses Ausdrucks überhaupt bewusst wird.
Dabei ist alles wesentliche zu finden, um zu verstehen, was der eigentliche Antrieb der Karriere vom Militärkommandanten zum Präsidenten ist. Als junger Soldat schreibt Chávez, frustriert vom militärischen Alltag in der Provinz, in einem Brief: "Hier bin ich und erfülle eine Aufgabe ohne Bedeutung, die doch so viel größer und produktiver sein könnte." Chávez hat weit mehr Ambitionen als Visionen. Dass er seinen Wunsch, eine irgendwie herausragende Rolle zu spielen, nur mit einem zerbrechlichen Bündnis mit den Unterschichten erfüllen konnte, ist das Ergebnis der politischen Entwicklung des Landes seit dem Aufstand von Caracas von 1989. Nach Chávez’ gescheitertem Putschversuch 1992 und seinem anschließenden Gefängnisaufenthalt suchte er die Nähe zu ziemlich allen politischen Kräften, von Kommunisten zu Neofaschisten, die ihm eventuell nützlich sein konnten. Die Konstante dieser Karriere ist eine kultische Verehrung des Volkshelden Simón Bolivar und ein antiamerikanischer Nationalismus, wie er in Lateinamerika zum guten Ton auch bei den Eliten gehört.
Chávez konnte seine Herrschaft festigen, weil die politische Klasse im Erdölland Venezuela mit der sozialen Krise nicht fertig wurde. Der „Charismatiker“ fördert den Kult um seine Person nach Kräften. Die Weltöffentlichkeit ist Auftritte wie den bei der UN kaum gewohnt. In Venezuela dagegen kennt man sie zur Genüge, schließlich tritt Chávez seit Jahren einmal in der Woche im Fernsehen auf. In der Sendung Aló Présidente agiert er als Showmaster und Präsident zugleich, beantwortet Fragen und verkündet Regierungsentscheidungen. Obschon reaktionär ist diese Ästhetisierung der Politik auf lateinamerikanisch durchaus unterhaltsam. Der Präsident hat schon vor laufender Kamera Manager des staatlichen Ölkonzerns entlassen. Aber es geht nicht nur um Entertainment. Wer ein Problem mit der ineffizienten und korrupten Verwaltung hat, tut gut daran, bei der direkten Fernsehdemokratie mitzumachen und sich direkt an den Präsidenten zu wenden. Die Unzufriedenheit mit den Verhältnissen trifft nicht ihn, sondern seine Untergebenen und die Bürokratie. Der alte Mythos vom guten König, der von bösen Beratern umgeben ist, ist weit verbreitet. „Solange der Präsident diese politische Show glaubwürdig zu inszenieren weiß, brechen die Gegensätze zwischen Basis und politischer Klasse nicht offen aus“, schreibt Twickel. Das ist schade, denn die sogenannte bolivarische Bewegung ist eine gewagte Mischung aus Staatsbediensteten, linksradikalen Aktivisten und auch national orientiertem Bürgertum.
In einem zynischen Moment sagte Bertolt Brecht über die Kritik an der Sowjetunion: „Sie kennen diese Intellektuellen. Sobald die Bourgeoisie nicht mehr an der Macht ist, entdecken sie, dass sie keine Gewalt ertragen können!“ Mit der durchaus falschen Kritik an Chávez, wie sie die internationale Presse verbreitet, muss niemand sich gemein machen. Fahrlässig ist es allerdings, Venezuela zum Vorbild im Kampf gegen den Neoliberalismus zu erklären oder gar von einer Revolution zu sprechen. Chávez hat die Bourgeoisie nicht entmachtet. In einer Rede vor einigen Jahren sagte er, um die Armut abzuschaffen sei ausreichend, den Armen Macht zu geben. Darauf wartet das venezolanische Proletariat bis heute. Zwar hat er sich mit Basisorganisationen in ihren Vierteln verankert – auch weil er 2002, während des Putschversuchs gegen ihn, erfahren hat, dass es die Unterschichten waren, die ihn retteten. Die sozialen Programme seiner Regierung, in die tatsächlich viel Geld fließt, haben die Armen nicht emanzipiert, sondern die alten trickle down – economics durch ein neues, aber kaum weniger korruptes System ersetzt. Immerhin wecken seine populistischen Versprechen Hoffnungen in der Bevölkerung. Darauf setzt ein Teil der revolutionären Linken. Sie glauben, das prekäre Bündnis des Autokraten mit den Unterschichten könnte nur eine Zwischenstufe sein. Sofern sie nicht selbst dem Führerkult anhängen, wollen sie Chávez benutzen.
Noch allerdings gelingt es der Integrationsfigur an der Spitze, das Bündnis zusammenhalten, die verschiedenen Parteiflügel gegeneinander auszuspielen und das politische System weiter auf die eigene Person zuzuschneiden. Gerne bliebe er auf Lebenszeit Präsident und hat eine entsprechende Verfassungsänderung vorgeschlagen. Trotzdem ist er kein lateinamerikanischer Diktator alten Stils, kein caudillo. Chávez hat aus der Vergangenheit gelernt. In den 90er Jahren ließ er sich von dem Waffenhändler und Holocaustleugner Norberto Ceresole beraten, dessen politisches Konzept schlicht faschistisch war. Der Dreiklang aus der Macht des Führers (spanisch caudillo), der Armee und des Volkes sollte das korrupte parlamentarische System ersetzen und den nationalen Kampf aufnehmen. Erst 1999 – nach dem Wahlsieg! – begann sich die Führungsriege um Chávez langsam vom Ceresole zu distanzieren.
Nötig hatten sie ihn zu diesem Zeitpunkt schon lange nicht mehr. Der Präsident sammelt die Nation mit anderen Mitteln hinter sich. Er muss sich gar nicht auf die Macht der Gewehre stützen, solange das Elend die Armen für seine utopischen Versprechungen empfänglich macht. Die Ölrente verschafft ihm im Moment innen- und außenpolitisch Spielraum. Sein Image gleicht mehr dem eines Popstars als dem Bild eines Messias. Auch das hat mit Revolution natürlich nichts zu tun, aber Christoph Twickel und andere wollen glauben. Der Hugo – Kult in den Elendsviertel von Caracas soll auf eine, nicht weiter beschriebene Art, fortschrittlich sein. An einer Stelle bringt der Biograph gar Toni Negris "Empire" in Zusammenhang mit der Globalisierungskritik des Präsidenten. Es bestätigt sich der Verdacht, dass Negris Idee von der Multitude – also der Bewegung von ziemlich allen, in der in irgendeiner Ecke sicher auch Platz für unzufriedene Militärs ist – so unpräzise ist, dass sie nicht nur nach einem personalisierten Gegner, sondern auch nach einer positiven Verkörperung verlangt. In Hugo Chávez hat sie eine gefunden.

Christoph Twickel (2006) Hugo Chávez. Eine Biografie. Hamburg: Edition Nautilus. 352 Seiten, mit Chronik

 

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