Home

Texte

Kommentar

Rezensionen

Radio

Schublade

Bilder

Links

 

Kontakt

 

 

 

 

 

(Konkret, November 2008)

Kleine geile Firmen

"Ich leg die alte Platte noch mal auf / sie lief damals fast ein ganzes Jahr / sie gefiel uns zwar nicht sehr / doch es war keine andere da ..." singen die Aeronauten aus der Schweiz. Arndt Neumann aus Hamburg tut es ihnen gleich und präsentiert den Sommerhit von 2001 noch einmal: das Lied von der "Massenintellektualität" und der "immateriellen Arbeit". Man kennt es, klingt so: „Seit 1970 verlor die industrielle Produktion zunehmend ihre hegemoniale Position. Stattdessen rückten Wissen, Kommunikation und Affektivität von den Rändern des Produktionsprozesses in dessen Zentrum" ...
Die Thesen von Negri, Seibert oder eben Neumann holzschnittartig zu nennen, hieße, die Schnitzkunst zu beleidigen. Ihre Darstellung der "alten Industriegesellschaft" ist ebenso Karikatur wie die der heutigen Produktionsverhältnisse. "Passiv" sei der "traditionelle Lohnarbeiter" der Fabrik-Disziplin unterworfen gewesen, heißt es da, im Gegensatz zum "selbständigen Lohnarbeiter" von heute. Dieser "autonome Arbeiter" sei unter anderem Ergebnis einer Entfremdungskritik, wie sie die Boheme und die subkulturelle Verweigerung leben wollte. Aber auch er muss immer noch seine Arbeitskraft verkaufen, "die Angst vor der Erwerbslosigkeit tut ihr übriges". Deshalb sei ein "bedingungsloses Grundeinkommen" nötig, damit die bereits (berufs-)tätige "Autonomie" sich endlich frei entfalten kann.
Warum eigentlich müssen die linken Freiberufler immer etwas Besonderes sein? Warum können sich die, die der Medien- und Kulturindustrie zuarbeiten – den "Content" herstellen – nicht schlicht eingestehen, dass sie zu einer (potentiell) deklassierten Mittelschicht gehören, und zu ihren neugewonnen Klassengenossen schüchtern "Hallo!" sagen? Nein, um jeden Preis, sogar um den Preis der Plausibilität, muss man "Impulsgeber" der kapitalistischen Entwicklung sein und in ihrem Zentrum stehen!
Die entsprechenden Theorien bilden in "Kleine geile Firmen" allerdings nur das Hintergrundrauschen. Arndt Neumann untersucht, inwiefern die selbstverwalteten Betriebe der Alternativen Vorläufer der Arbeitspraxis von heute waren. Er zeichnet ein lebendiges Bild der zeitgenössischen Auseinandersetzung darüber, ob "alternativer Nischen" in der kapitalistischen Gesellschaft möglich oder wünschenswert sind. Der Autor, selbst Jahrgang 1978, nähert sich diesen Debatten als Historiker. Das könnte für Abstand bürgen, aber leider vergisst er, dass durchaus noch einige Zeitzeugen am Leben sind, die zu befragen sich gelohnt hätte. Sie hätten bei mancher Vereinfachung widersprochen.

Arndt Neumann (2008) Kleine geile Firmen: Alternativprojekte zwischen Revolte und Management. Hamburg: Edition Nautilus.

 

 

Mehr Rezensionen