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Wie hältst du’s mit der Nation?

(Junge Welt, 1. Oktober 2007)

Die DKP–nahe Marx-Engels-Stiftung stellte letztes Wochenende in Berlin, was sie für eine Gretchenfrage hält. "Das gebrochene oder ungeklärte Verhältnis zur eigenen Nation" sei eine „wichtige Ursache für die Schwäche der Linkskräfte in unserem Lande“, so die Einladung. Die Vorträge beschäftigten sich mit historischen und theoretischen Problemen wie der inter-nationalistischen Politik der KPD in der Weimarer Republik oder den Ideen Antonio Gramscis. Den Abschluss bildete eine Debatte zwischen Winfried Wolf und Jürgen Wolf.
Blieben da nationalen Fragen offen? Und wie! Die politischen Positionen der beiden haben sich im Lauf ihrer Leben gewaltig geändert, im Fall Elsässers geradezu umgekehrt. Heute will der einstige Begründer des antideutschen Lagers "das Europa der Vaterländer von links besetzen" und die nationale Souveränität gegen die Globalisierung verteidigen. Wolf dagegen glaubte Anfang der 1980er Jahre, die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten böte sozialistische Möglichkeiten. Für Elsässer sind die imperialistischen Ambitionen Deutschlands Mitte der 1990er an ihre Grenzen geraten und heute tatsächlich gar kein Problem mehr, während Wolf sie nach wie vor für gefährlich hält.
Offenbar ist das Verhältnis von Nationalstaaten, großen Wirtschaftsblöcken wie der EU und Weltmarkt seit 1989 ein anderes geworden. Wolf beschrieb die USA als wirtschaftlich längst ausgezehrt, ihre Macht stütze sich nur noch auf militärische Überlegenheit. In das weltpolitische Vakuum, dass durch den amerikanischen Abstieg entstehen wird, könnten andere imperialistische Mächte stoßen, wahrscheinlich die EU und / oder China. Nach wie vor seien die Konzerne an bestimmte Nationen gebunden, ein europäisches Kapital gerade im Entstehen.
Elsässers Version des Zustands des Imperialismus, die er übrigens auch in einem neuen Buch mit dem Titel "Angriff der Heuschrecken" darlegt, hat den Vorzug der Originalität: Heute regiere die Welt das Finanzkapital, für das nationale Grenzen nur noch hinderlich seien. Ihm gehe es nicht darum, Arbeitskraft auszubeuten, im Gegensatz zu einer Reihe von Regierungen "zwischen Peking, Brasilia und Caracas", die dafür zu "progressive Staaten" geadelt werden. Kurz: der Hauptfeind steht nicht im eigenen Land, sondern auf der anderen Seite des Atlantiks.
Wie kann „die Linke“ an Einfluss gewinnen? Elsässers empfiehlt ihr Populismus und geht mit gutem Beispiel voran, spricht von "Inländerfeindschaft" und propagiert einen "Antiamerikanismus ohne Hemmungen". Vielleicht hört ja wirklich der ein oder andere Vertreter der herrschenden Klasse in Deutschland die Botschaft mit Wohlwollen und bietet den Finanzkapitalisten aus Übersee die Stirn. Das wäre erfolgreiche Politikberatung gewesen. Auf seiner Internetseite zitiert Elsässer einen Satz aus der Jungle World, der als Denunziation gemeint war: er sei "zunehmend zum Stichwortgeber und Multiplikator des Lafontaine-Flügels in der Linkspartei". Da irren sich Denunziant und Denunzierter gleichermaßen. Lafontaine braucht Elsässer so wenig wie das deutsche Kapital kommunistische Unterstützung im Verfolg seiner Interessen.

 

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