Home

Texte

Kommentar

Rezensionen

Radio

Schublade

Bilder

Links

 

Kontakt

 

 

 

Radikales Gedeck

 

Aufstieg und Abfall der Kreativindustrie

Unbeirrt setzt die Berliner Kulturpolitik auf das neue große Ding von vorgestern.
(Junge Welt, 3. Juli 2009)

Einfallsreichtum gehört in der Werbebranche zum Berufsbild. „Neue, total verrückte Idee gefällig?“ Wie wäre es mit dieser - die westlichen Staaten haben die industrielle Produktion hinter sich gelassen. Die Wertschöpfung von heute beruht auf „Innovation“ und der Medienwirtschaft. Deshalb sind Städte und Regionen gut beraten, den „Kreativen“ ein Umfeld zu schaffen, in dem sie sich wohlfühlen und mit ihren Ideen die Wirtschaft in Schwung halten. Nach dem Ende der Großindustrie soll die „kreative Klasse“ über die wirtschaftliche Zukunft entscheiden.
Diesen Ausdruck prägte der Stadtsoziologe Richard Florida in seinem Buch „Der Aufstieg der kreativen Klasse“, das 2002 in den USA erschien. Als Variante der „Humankapitaltheorie“ betont die Theorie die sogenannten „weichen Standortfaktoren“. Die Kreativen, argumentiert Florida, sind nämlich oft ein bisschen unkonventionell, ziemlich oft homosexuell und (angeblich) eher selten Rassisten. Deshalb ist Toleranz gegenüber den Lebensentwürfen von Minderheiten ein Standortvorteil. Florida korrelierte folglich die Menge homosexueller Männer mit der Wirtschaftsleistung einer Region. Manche Soziologen werfen ihm allerdings vor, er habe sich bei diesem absurden Unterfangen verrechnet.
Man darf diese Theorie lächerlich finden, ihre Kernaussagen waren hinreichend unbestimmt und deshalb spektakulär erfolgreich. Vielleicht gäbe es die „Medienparks“ und „Popakademien“ in den bundesdeutschen Metropolen und Provinzstädten auch ohne Floridas Stichworte, aber sie haben diese Entwicklung befördert. Sogar das Bundeswirtschaftsministerium brachte ein Forschungsprogramm zu den „kreativen Industrien“ auf den Weg: „Die Branche erzielte im Jahr 2008 eine Bruttowertschöpfung von 63 Milliarden Euro und einen Umsatz von 132 Milliarden Euro.“ Vorher allerdings musste man sich einigen, wer zu dieser Industrie gehört, und hier beginnt es schwierig zu werden. Alle Definitionsversuche der „Kreativwirtschaft“ zählen nämlich nicht nur diejenigen dazu, die für ihre „Ideen“ bezahlt werden, sondern auch die, die sie verkaufen beziehungsweise die Kommunikationsinfrastruktur in Betrieb halten. In vielen Statistiken tauchen deshalb als „Kreative“ unter anderem die Angestellten in Call Centern, alle, die vom Architekturmarkt leben, der Briefträger und der Netzwerktechniker auf. Die Frage, ob es überhaupt Sinn macht, scheinselbständige Bauzeichner und transnationale Medienkonzerne unter demselben Begriff zusammenzufassen, ist dabei noch nicht einmal berührt. Sie wurde auch nicht berührt, als die Heinrich-Böll-Stiftung am Donnerstag im Berliner Regierungsviertel zur Diskussion „Creative Industries – Business der Zukunft oder Floskel?“ einlud. Es kamen Vertreter der Medienindustrie, Kulturverwalter verschiedener Art und auch eine Vertreterin des „Bundesverbandes Deutscher. Kapitalbeteiligungsgesellschaften“. Eine Diskussion kam dennoch nicht auf; man war sich einig: Für „postindustrielle Städte“ wie Berlin ist die „Kreativindustrie“ der Ausweg.
„Media Spree“, der Versuch des Berliner Senats, Medienunternehmen ins ehemalige Grenzgebiet zwischen Friedrichshain und Kreuzberg zu locken, ist mangels Interesse gescheitert. Unbeirrt setzt der Senat bei seinen Planungen für den stillgelegten Flughafen Tempelhof auf „ein internationales Zentrum für Kultur-, Medien- und Kreativwirtschaft“. Das durchschnittliche Jahreseinkommen der Versicherten in der Künstlersozialkasse – die sich immer mehr zum Auffangbecken für die Medien-Prekarisierten entwickelt hat – beträgt 16.232 Euro. Als ein Besucher darauf hinwies, dass der überwiegende Teil der Berliner Kulturschaffenden keineswegs investiert und expandiert, sondern vielmehr existiert, antwortete die Verbandssprecherin, das sei bedrückend, aber offenbar stimme da etwas mit der Marktfähigkeit nicht. Die „Kreativwirtschaft“ als „Business der Zukunft?“ In der Krise schmelzen die spekulativen (Theorie-)Blasen wie Eis in der Sonne. Aber hier drin ist es noch schattig genug.