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"Leichen gucken gehen"
Körperwelten und blühende Landschaften: zu Besuch in Guben.
Am Abend vorher haben wir noch Witze gemacht über diesen doppelt gefährlichen Ausflug ins Brandenburgische. Ich fahre nach Guben an die polnischen Grenze. Dort verfolgt nicht nur eine neofaschistische Dorfjugend alle, die ihr nicht passen, und schreckt nicht einmal vor Mordversuch und Mord zurück, sondern der „Anatom und Unternehmer Gunther von Hagens“ eröffnet heute eine neue Werkstatt. Bekanntlich ist von Hagens immer auf der Suche nach neuen Körpern, die er in Ausstellungsstücke verwandelt – ein riskantes Unternehmen also. Immerhin wirke ich seit längerem kaum noch wie ein „alternativer Jugendlicher“, und auch der sogenannte „Plastinator“ versorgt sich lieber in Asien statt auf einer Pressekonferenz in Deutschland ... hoffe ich. Umsteigen in Frankfurt / Oder. Das Land wird immer leerer und die Frisuren ordentlicher. Das Schweigen hat etwas Trotziges. Irgendwann sagt mir mein Handy, dass ich nur noch Notrufe machen kann. Zahlreiche Kollegen sind auch im Zug, mit ihren lachsfarbenen Hemden und den großen, großen Objektiven.
Immer wieder kursieren Gerüchte darüber, wie von Hagens sein Material für seine Ausstellungen mit dem Titel „Körperwelten“ akquiriert. Im chinesischen Dasian betreibt er eine „Leichenfabrik“, heißt es. Angeblich hat er Leichen von Hingerichteten in China und erfrorenen Obdachlosen in Kirgistan aufgekauft. Seine Methode nennt er Plastination: die Körperflüssigkeiten werden durch Kunststoffe ersetzt und die so entstehenden Objekte eingefärbt. Mediziner nehmen weder die Plastination noch den chinesischen Professorentitel ernst, den er bis vor kurzem im Namen führte. Gunther von Hagens quittiert die Kritik mit wütenden Anwürfen gegen das „medizinische Establishment“, während er buchstäblich alles mitmacht, was die Medien interessiert und Aufmerksamkeit bringt. Erfolgreich damit ist er: der Umsatz seiner zahlreichen Aktivitäten belief sich im vergangenen Jahr auf 200 Millionen Euro, geschätzter Gewinn 40 Millionen.
Vom Bahnhof sind es nur fünf Minuten Fußweg zu den ehemaligen Fabrikhallen, wo das „Plastinarium“ feierlich eröffnet werden soll. Seit der Wende stand das Gebäude leer. Lange hat die Stadt einen Investor gesucht. Schließlich zeigte von Hagens Interesse. Seitdem glaubt die Lokalpolitik, die Alternative Leichenschau sei der Leerstand. Von Hagens versprach bis zu 300 Arbeitsplätzen, manche machen sich Hoffnungen auf Touristen, die „Hinter die Kulissen der Körperwelten“ schauen wollen. Die offizielle Arbeitslosenrate hier liegt bei 22 Prozent. Seit der Vereinigung hat die Stadt zwei Drittel der Einwohnerschaft verloren. In zwei polnischen Städten, wo von Hagens sein europäisches Hauptquartier aufschlagen wollte, war der Widerstand der Bevölkerung zu groß. Viele Gubener dagegen würden für eine „Festanstellung“ noch Großmutter und Hund als Präparate zur Verfügung stellen. Oder in den Worten des sozialdemokratischen Landrats Dieter Friese: „Wirtschaftlich ist so eine Produktion eine interessante Sache.“ Von Hagens ist es recht, weil sich das polnische und deutsche Lohnniveau in der Grenzregion kaum unterscheidet.
Immerhin demonstriert vor der Halle eine kleine Gruppe gegen die Eröffnung. „Die Totenruhe ist ein Kulturgut!“ steht auf einem kleinen Schild. Organisiert wird der Protest vom
örtlichen Pfarrer, aber nicht alle argumentieren religiös. Einer der Demonstranten erzählt mir, man habe ihm Prügel angedroht, als er sich öffentlich gegen das Plastinarium aussprach. Eine Frau sagt bitter: „Hier braucht einer bloß fünf Arbeitsplätze zu versprechen, dann kann er machen, was er will.“ (Bei der Pressekonferenz später erhalte ich einen eigenen Eindruck von der Gewaltbereitschaft der örtlichen Arbeitswilligen, als sie ein hartnäckig nachfragender Journalisten mit „Es reicht jetzt!“ anzischen.) Drinnen werden derweil anlässlich des „historischen Tages“ Reden gehalten. Der langjährige Bürgermeister Klaus-Dieter Hübner von der FDP spricht von einem „sensiblen Thema“, verrät aber leider nicht, welches er meint. Über die Demonstration sei er "irritiert", immerhin habe es eine demokratische Entscheidung für die Ansiedlung gegeben.
Merkwürdig, sonst ist Hübner nicht so leicht zu irritieren. Als Gubener Jugendliche vor sieben Jahren einen Algerier buchstäblich zu Tode hetzten, nannte er das „eine Verkettung unglücklicher Umstände“. Heute äußert er die Hoffnung, der Protest möge wenigstens
friedlich bleiben. Gnadenlos beginnt die Schar vor dem Eingang We shall overcome! zu singen und Kerzen in die Luft zu recken. Die Begehung beginnt. Die Pressehorde trabt aufgeregt hinter dem ebenso aufgeregten Anatom mit dem Hut her. Von Hagens redet sich weitschweifig und schwitzend um Kopf und Kragen. Ein „Körperveredler“ sei er, seine Anatomie ein „postmortaler Schönheitssalon“. Seine Bewegungen sind steif und hektisch.
Die Ausstellung besteht aus einem Schauraum, wo einige bereits bekannte Präparate gezeigt werden, ergänzt um einige Arbeitsräume, wo von Hagens Angestellte vorführen, was sie
angeblich demnächst als Leichenpräparatoren tun werden. 48 Leute sind bisher angestellt worden. Sie geben bereitwillig Auskunft, obwohl sich ihre Aussagen auffällig ähnlich anhören. Eine erzählt mir, die Investition sei „gut für die ganze Region“. Vorher hat sie in einem Call Center gearbeitet. Weniger gesprächig sind ihre chinesischen Kollegen, Medizinstudenten, die drei Monate lang ihr anatomisches Knowhow in Brandenburg vermitteln sollen. Wie es ihnen in Deutschland gefalle? Gut, aber zuhause sei es doch schöner.
Irgendwann haben sogar die Kamerateams genug vom atemlosen Vortrag von Hagens. Die Journalisten und Fotographen streunen einzeln durch die Ausstellung. Blitzlichter im Halbdunkel. Die Arbeiter arbeiten, sie verarbeiten Körper. Alle wollen sie ganz dicht ran, noch näher, unter die Haut. Dort zeigt sich – nichts. Mir wird klar, welche Faszination Millionen Besucher in solche Ausstellungen in Europa, den USA und Südostasien trieb: es ist die angebliche Authenzität der Exponate, nicht wissenschaftliches Interesse. Nicht zufällig trägt der Katalog für „Körperwelten den Titel „Die Faszination des Echten“. Echte ehemalige Menschen müssen es sein, obwohl sich Plastikmodelle von den plastinierten Leichen kaum unterscheiden ließen. Deren sauber glitzernde Oberfläche bricht die Faszination am Sterben. Von Hagens setzt sie teilweise aus mehreren Körpern zusammen und in Pose. Interessant sind sie genau wegen jenem Mythos der Heiligkeit des Lebens, den von Hagens vorgeblich bekämpft. Käme es wirklich dazu, könnte er einpacken und seine Ausstellungsstücke als Schaufensterpuppen verkaufen. Er will entmystifizieren, dazu braucht er Mythen. Deshalb steigert er den Tabubruch immer weiter, die öffentliche Aufmerksamkeit darf nicht nachlassen. In London wollte er seine Künste sogar öffentlich vorführen, in Guben spann er Pläne, einen Liebesakt in Leichenteilen darzustellen.
Er bezeichnet sich genauso gerne als Aufklärer wie als Künstler, seine Objekte seien didaktisch und ästhetisch zugleich, ein Bruch mit der traditionellen Anatomie hin zum Kunstwerk. Grober Unfug natürlich, nicht nur im juristischen Sinne. Aber der Mann ist ein
liberaler Demokrat, wie nur je einer war. Seine Mission ist das Geschäft und umgekehrt; über Konventionen und moralische Bedenken setzt er sich hinweg. „Ein Ding, aber ein besonderes Ding“ sei der tote Körper, es diene einem Zweck. So spricht die Aufklärung am Werk. Sie entzaubert und profanisiert alles. Nimmt sie auch in Guben den Umweg übers reisende Kuriositätenkabinett, den zeitgenössischen Jahrmarkt? Vielleicht wollen sich wirklich manche Besucher mit ihrer auseinandersetzen. Stattdessen finden sie Gegenstände. Überspitzt ließe sich auch sagen: Protestierer und Fans teilen die den gleichen Fetischismus, nach dem das Wesentliche im Körper stecken soll.
Ich habe genug und gehe hinaus, in den Ort. Die Einheimischen beäugen mich misstrauisch. So wenig ist hier los, sogar von Hagens Leichen sorgen für Belebung. Die Jugendlichen tragen, der Jahreszeit entsprechend, Tarnklamotten in grau-weiß – praktisch sowohl für die nächste Schneeballschlacht als auch den nächsten Vorstoß über die Grenze, beispielsweise auf der „Straße der Freundschaft“, die nach Gubin führt. Ein Schüler kauft sich ein Bier für den Nachhauseweg. Die Ausstellung ist ihm egal, er will später sowieso weg. Ob bald die Touristen nach Guben kommen werden? „Hoffentlich nicht.“
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