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Gegen die alte Klischees: wir brauchen neue!

(Junge Welt, 8. Dezember 2007)

“Seit dem 11. September ist die Geschichte der Gewalt im Nahen Osten zur alles beherrschenden Wahrnehmungsfolie geworden.” So wirbt die Veranstaltungsreihe “Di/Vision”, die statt dessen neue Zugänge zu der Region ermöglichen und sich den Klischees “über Ost und West verweigern will. Bis zum 13. Januar sind im Berliner “Haus der Kulturen der Welt” (HKW) Kunstwerke, Vorträge und Filme aus dem Nahen Osten zu erleben. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommen aus Syrien, Libanon, Israel, Ägypten, Irak und Iran. Es geht um Politik und Kultur, um “Ägyptens Kulturkriege” und den “Diskurs der Rückkehr in der jüdischen und palästinensischen Diaspora”.
Die Veranstaltungen finden in der Kongresshalle im Berliner Tiergarten, Nähe Reichstag statt. Die Kongresshalle war ein Geschenk der Vereinigten Staaten, die das Gebäude 1957 der Stadt Berlin überantworteten, ein Geschenk mit Hintersinn. Der Bau symbolisiert in seiner ganzen Anlage jene Werte, die der Westen im Kalten Krieg für sich reklamierte: Offenheit, Toleranz, öffentlicher Raums im Dienste der Demokratie und ein “Leuchtturm der Freiheit” – der übrigens künstlich erhöht wurde, damit er auch von Ost-Berlin sichtbar wäre.
Gerade als der Kalte Krieg dann erfolgreich beendet wurde, wurde das HKW gegründet. Es wird hauptsächlich aus Bundesmitteln finanziert und präsentiert “außereuropäische” Kulturproduktionen unterschiedlicher Qualität, aber mit hochkulturellem Anspruch. Dennoch bezog sich der Intendant Bernd Schreiner auf die alte Tradition der demokratischen Willensbildung aus Diskurs, als er “Di/Visions” vorstellte. Die Ausstellung solle Raum für Ansichten und Positionen geben, die ansonsten zwischen den autoritären Regimen, westlicher Einflussnahme und islamistischen Bewegungen zerrieben werden, sagte er. “Diese Stimmen finden kaum Gehör”, sagte Schreiner und verwies auf die Gestaltung der Eingangshalle: Auf zahlreiche Leinwände werden dort Film–Interviews mit Intellektuellen und politischen Aktivisten projiziert. Kuratiert hat die Ausstellung Catherine David, die 1997 die Zehnte Dokumenta in Kassel organisierte, und wie damals ist die Ausrichtung von “Di/Visions” “post-kolonial”. David kritisiert “die Unkenntnis, die in Europa für die modernen und emanzipatorischen Traditionen in der nichtwestlichen Welt bestehen”. Laut Schreiner wiederum hat man sich bei der Planung der Ausstellung von der “Orientalismus”– Theorie von Edward Saids leiten lassen. Nach Said bringt der westliche Kolonialismus aufgrund seiner Bedürfnisse und Interessen ein Bild des “Ostens” hervor, das mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat. Das Fremde erscheint verlockend, geheimnisvoll, aber auch als gefährlich und bedrohlich. “Okzident” und “Orient” werden einander vermittlungslos gegenübergestellt. Die Kritik des “Orientalismus” richtet deshalb das Interesse auf den westlichen Betrachter statt auf sein Objekt.
“Di/Visions” will die Verhältnisse im Nahen Osten diskutieren und sich allen falschen Frontstellungen verweigern. Leider bleiben viele Aussagen im Nebulösen und Ungefähren, und die Kritik vieler Künstler und Theoretiker richtet sich nicht gegen die Verhältnisse, sondern gegen ihre Wahrnehmungsmuster. Manche Formulierungen aus dem Programm klingen zunächst wie Druckfehler – bis man merkt, dass es sich um jenen kulturwissenschaftlichen Jargon handelt, der politische Begriffe niemals außerhalb von Anführungszeichen herumstreunen lässt: “Künstler aus Iran, Irak, Libanon, Ägypten, Palästina und Syrien reflektieren heute den >Krieg< und die einhergehenden Kriegsdiskurse in Modalitäten, die zugleich von lokalen und globalen Dimensionen geprägt sind.” Sollte das etwas bedeuten, dann höchstens eine Banalität.
David wirft in einem Interview zur Veranstaltungsreihe die Frage auf: “Inwiefern ist Kultur ein autonomer Reflexionsraum und Sender, der Alternativen durchsetzen kann?”. Die Antwort fällt nicht schwer: Gar nicht. Bei “Di/Visions” geht es um politische Probleme und künstlerische Praxis, schade, dass dieses Verhältnis niemals umgekehrt wird. Außerdem leben aus naheliegenden, ihnen nicht übel zu nehmenden Gründen ein großer Teil der teilnehmenden Künstler und Wissenschaftler in Europa oder den USA. Tun sie das nicht, unterrichten sie an Eliteeinrichtungen wie der American University in Beirut und der in Kairo. Intellektuelle aus den “postkolonialen Ländern” des Trikonts befinden sich in noch größerem Abstand zur Bevölkerung als im Westen. In aller Regel sind sie nach ihrer Herkunft, und oft auch nach ihrer Lebenspraxis, Teil der dortigen herrschenden Klasse. Bei dem “öffentlichen Raum”, den der Intendant der HKW sich von “Di/Visions” verspricht, handelt es sich insofern um eine Inszenierung, die noch wesentlich irrealer als “Maybrit Illner”.
Niemand sollte sich deswegen davon abhalten lassen, die Veranstaltungen zu besuchen, zum Beispiel im Januar, wenn über die Bedingungen für die Medien- und Kunstproduktion unter anderem im Irak diskutiert wird. Und gerade die Filmdokumentationen erzählen kaum bekannte Episoden der Geschichte des Nahen Ostens.

 

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