Home

Texte

Kommentar

Rezensionen

Radio

Schublade

Bilder

Links

 

Kontakt

 

 

 

 

Massengesellschaft 2.0

(Junge Welt, 30. 5. 2009)

„Das verfassungsmäßig verbürgte Grundrecht von Urhebern auf freie und selbstbestimmte Publikation ist derzeit massiven Angriffen ausgesetzt und nachhaltig bedroht.“ Der „Heidelberger Appell“ beginnt mit Trompetenstoß und Paukenschlag. Sein Initiator Roland Reuß, Germanist an der Universität Heidelberg, protestiert dagegen, dass Konzerne wie Google oder YouTube urheberrechtlich geschützte Werke kostenfrei zugänglich machen. In Wirklichkeit spielen die beiden genannten Internetdienste beim Tausch von Musik und Filmen kaum eine Rolle. Trotzdem unterschrieben innerhalb kurzer Zeit zahlreiche Intellektuelle Reuß' offenen Brief „für Publikationsfreiheit und die Wahrung der Urheberrechte“, darunter Günther Grass, Alexander Kluge, Thomas Meinecke, Klaus Theweleit, Siegfried Lenz, Hans Magnus Enzensberger, Ralf Sotscheck, Klaus Staeck, Axel Honneth, Ulrich Beck und ...
Es ließe sich an dieser Stelle leicht Zeilenhonorar schinden, denn unter dem „Heidelberger Appell“ stehen mittlerweile knapp 2 500 Unterschriften. Wer nichts zu tun hat, kann im Internet zusehen, wie die verbliebenen hauptberuflichen Intellektuellen Deutschlands dazu kommen. Der Anlass: Google Books will vergriffene Bücher ins Netz stellen. Den Autoren bietet der Konzern dafür ganze 60 US-Dollar (etwa 45 Euro) pro Werk. Allerdings sollen sie mit 63 Prozent an den künftigen Einnahmen aus der Verwertung beteiligt werden.
Seit Reuß seinen Aufruf ins Netz stellte, wird wieder heftiger übers sogenannte „geistige Eigentum“ gestritten. Mit dabei: Medienkonzerne, die Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG) und andere Wissenschaftsorganisationen, die kleinen Verlage, die großen Verlage, die Autoren, die VG Wort, amerikanische Anwälte – um nur die lautesten zu nennen. Sie kämpfen in wechselnden Bündnissen um ein größeres Stück vom Kuchen und führen zu diesem Zweck hehre Ziele ins Feld. Indem sie ihr Geschäft mit ihr machen, machen die jeweils anderen angeblich die Kultur kaputt.

Indem sie ihr Geschäft mit ihr machen, machen die jeweils anderen angeblich die Kultur kaputt.

Man weiß nicht, welche Schritte zur Erlangung der Weltherrschaft Google als nächstes unternehmen wird. Trotzdem ist es Geschmackssache, wem man in diesem Streit seine Sympathien schenken mag. Innovation und Zerstörung – hier das absehbare Ende eines überkommenen Geschäftsmodells – gehören nun einmal zum kapitalistischen Fortschritt. Ein Auskommen zu finden, fällt vielen „Kreativen“ bekanntlich schwer, und in der Krise wird es noch schwerer werden. Aber das geht ja vielen so. Die „Vervielfältigungsmaschine“ Internet treibt in allen gesellschaftlichen Bereichen Rationalisierung und Proletarisierung voran. Nun bedroht sie die Einkünfte der deutschen Schriftsteller und Publizisten. „Sobald das E-Book eine nennenswerte Verbreitung unter den Lesern findet, ist eine Tauschbörse, bei der Bücher schwarz herunter geladen werden können, für Schriftsteller existenzgefährdend“, argumentierte Julia Franck, Schriftstellerin und Unterstützerin des Heidelberger Appells, kürzlich in einem Interview. Darum geht es: Die Schöpfer des „geistigen Eigentums“ wollen sich von der neuen Content-Industrie nicht enteignen lassen.
Ob ein Bündnis mit den Verlagen zur Verteidigung des alten Modells dazu taugt? Schließlich zahlen die in aller Regel deutlich weniger Umsatzbeteiligung als Google. Wahrscheinlich wird sich in der Publizistik wiederholen, was in der Musikindustrie geschehen ist: Die Werke bleiben länger geschützt. So entstehen Einnahmen, die nicht der breiten Masse der Musiker zugute kommen, sondern den Plattenfirmen, die sich die Rechte gesichert haben, beziehungsweise einigen wenigen prominenten Künstlern, die ihnen gegenüber eine starke Verhandlungsposition haben.
Im „Heidelberger Appell“ kommen diese „Rechteverwerter“ oder „Intermediaries” allerdings nicht vor. Stattdessen bringen die Kämpfer fürs Urheberrecht und „geistige Eigentum“ in Stellung, was sie (anzubieten) haben, das Alleinstellungsmerkmal des Intellektuellen ist seine Bildung: ein Zitat von Thomas Bernhard hier, eines von Adorno da, und die Kulturfeinde sprechen amerikanisch und nehmen dabei den Kaugummi nicht aus dem Mund. Es passt gut, dass Roland Reuß von sich sagt, er vertrete die Interessen der „produktiv Schaffenden in diesem Land“ und statt „Links“ lieber „Verknüpfungen“ schreibt.
Die elitäre Debatte aus den 20er Jahren über die „Massenkultur“ kehrt wieder. Damals prophezeiten Rechte wie Linke wegen Kintopp, Boulevard und Schlager den Untergang des Geisteslebens. Heute wird das Internet zum „Feind des Intellektuellen“, wie es der ZEIT–Redakteur Adam Soboczynski formuliert (noch ein Unterstützer des Heidelberger Appells). Die „Bildungsfeindlichkeit“ des Netzes drängt angeblich den Intellektuellen an den Rand, das Niedrige und Banale, höchstens noch das fade Mittelmaß setzt sich durch, weil im Massenmedium Internet jeder bloggt, kommentiert, bewertet und aus dem Zusammenhang reißt, wie es ihm gefällt. Soboczynski warnt vor „der Aushöhlung des Urheberrechts“ und einer „heraufziehenden Laienkultur“, und das tut er unnachahmlich prätentiös: „Da der Intellektuelle aus der Mehrheitsdemokratie geistesaristokratisch herausragt, ist er der Einzige, der die Bedingungen der Staatsform, in der er lebt, zu reflektieren vermag.“ Solcher Content lässt sich eben nicht automatisch generieren. Noch nicht.

 

Mehr Kommentare