Home

Texte

Kommentar

Rezensionen

Radio

Schublade

Bilder

Links

 

Kontakt

 

 

 

Ohrfeige für Labour

Nach den Kommunalwahlen in Großbritannien ignoriert Regierungschef Blair Rücktrittsforderungen und bildet stattdessen das Kabinett um.

„Das Kabinett jetzt umzubilden ist ungefähr so, wie die Liegestühle auf dem Deck der Titanic neu zu arrangieren!“ So bitter kommentiert der ehemalige Gesundheitsminister Frank Dobson, dass Premierminister Blair nach großen Verlusten bei den Kommunalwahlen am Donnerstag die Regierung umbildet. Insgesamt kommen die Konservativen auf 40 Prozent, die Liberaldemokraten auf 27 und Labour nur auf 26 der abgegebenen Stimmen. Damit ist die Regierungspartei nunmehr nur noch die drittstärkste Kraft; sie verliert die Kontrolle über 18 Bezirke und insgesamt 256 Sitze – nie zuvor haben die englischen Sozialdemokraten so schlecht abgeschnitten! Gewinne gab es dagegen für die Konservativen; auch die englischen Grünen, die aufgrund ihrer weitgehenden Einflusslosigkeit noch weit aktivistischer und radikaler als ihr deutsches Pendant sind, gewannen 14 Sitze dazu, auch das Antikriegsbündnis Respect gewann dazu.
Fast ebenso große Zuwächse verzeichnet allerdings die extreme Rechte. Die British National Party (BNP) konnte in Barking and Dagenham, zwei Vororten von London, wo sie elf Sitze erobern konnten. Margaret Hodge, die Labour-Abgeordnete dieses Bezirks, hatte im Wahlkampf unumwunden zugegeben, dass „80 Prozent meiner weißen Wähler in Versuchung sind, diesmal BNP zu wählen“. Laut Satzung ist eine „europäische Abstammung“ Bedingung der Mitgliedschaft. Zu heftigen innerparteilichen Querelen kam es deshalb, als mit Sharif Abdel Gawad „ein völlig integrierter Griechisch-Armenier“ (BNP) als Kandidat im nordenglischen Bradford aufgestellt wurde. Die Rechten sind vor allem dort erfolgreich, wo man einst traditionell sozialdemokratisch wählte. Die Ausrichtung auf das weiße Proletariat in Nordengland spiegelt sich in ihrem konfusen Parteiprogramm: sie fordert einerseits die Verstaatlichung der Schwerindustrie, um an anderer Stelle zu präzisieren, es ginge ihnen nur darum, die Fabriken wieder "in britischen Besitz" zu bringen.
Das neue Kabinett, das Blair gestern vorstellte, bringt keine politische Neuausrichtung, sondern dreht nur das Personenkarussell weiter, während sich der Premier an seinen Stuhl klammert. Innenminister Charles Clarke wird ersetzt, wahrscheinlich ebenso die Gesundheitsministerin Patricia Hewitt, deren Umstrukturierungspläne auf heftigen Widerstand stoßen. Gemeinsam ist ihren Nachfolgern die enge Verbundenheit mit Blair und ein neoliberales Profil. Die Kabinettsumbildung ist Blairs Versuch, immer lauter werdende Rücktrittsforderungen zu ignorieren.
Seit Jahren nutzen die Briten die Gelegenheit, die großen Parteien bei den Kommunalwahlen abzustrafen – sofern sie sich überhaupt die Mühe machen, ihre Stimme abzugeben. Die Wahlbeteiligung hat mit etwa 30 Prozent einen historischen Tiefstand erreicht. Nach acht Jahren Labour-Regierung sind Zynismus und Desillusionierung mit dem politischen System weitverbreitet. Dafür ist auch symptomatisch, dass diesmal eine ganze Reihe von sogenannten Themenparteien zur Wahl antrat, beispielsweise eine Liste für sozialen Wohnungsbau oder eine Gruppe gegen die Schließung eines Krankenhauses in den Midlands, teilweise mit beachtlichem Erfolg.