Home

Texte

Kommentar

Rezensionen

Radio

Schublade

Bilder

Links

 

Kontakt

 

 

 

 

 

Thema verfehlt
Der "Bildungsbericht Deutschland" sieht die Schuld für das Versagen des deutschen Schulsystems bei den Ausländern.

(JUNGE WELT, 9. 6. 2006)

Am vergangenen Freitag stellten Annette Schavan (CDU) für das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und die Kulturminister der Länder ihr neues Projekt vor: künftig soll zweijährlich ein umfassender "Bildungsbericht" Auskunft geben über den Zustand der Schulen und Hochschulen. Damit reagieren die Herausgeber nach eigenen Angaben auf das schlechte Abschneiden Deutschlands bei der IGLU- und PISA-Studien. Beide internationalen Vergleichsstudien haben gezeigt, wie sehr hierzulande der Schulerfolg von Bildungsstand und Status der Eltern abhängt. Soziale Mobilität: mangelhaft! In Europa schnitten nur Belgien und Ungarn noch schlechter ab."
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und viele Lehrerverbände fordern seit langem, die Selektion in drei verschiedene weiterführende Schulen abzuschaffen. Diese naheliegende Konsequenz findet allerdings weder bei der Ministerin noch der Kultusministerkonferenz eine Mehrheit, mittlerweile nicht einmal mehr Fürsprecher. Lieber konzentriert man sich in dem Bericht auf den Schwerpunkt „Migration“. Was die Einwanderer und ihre Kinder treiben, wird durch alle Bildungsbereiche, vom Kindergarten bis zur Promotion verfolgt. Und tatsächlich scheint es auf den ersten Blick glaubhaft, die Migranten zum eigentlichen Problem zu erklären: fast jeder fünfte Jugendliche mit ausländischem Pass verlässt die Schule ohne Abschluss – gegenüber jedem zwölften deutschen.
Noch eindeutiger aber ist der Zusammenhang zwischen dem Bildungsabschluss der Eltern und dem ihrer Kinder: wer aus einer der so genannten "bildungsfernen Schichten" kommt, erwirbt in aller Regel nicht mal den Realschulabschluss, während Akademiker ihre Qualifikation quasi vererben. Überdurchschnittlich viele Schülerinnen und Schüler aus Einwanderfamilien, besonders aus türkisch-deutschen, besuchen die Hauptschule – weil ihre Eltern als kaum oder semi-qualifizierte Arbeiter ins Land kamen. Heute gehören sie zur Überschussbevölkerung, mit schlechten Chancen auf Ausbildungsplätze, von Arbeitsplätzen gar nicht zu reden. Die Krise des dualen Ausbildungssystems, die der Bericht nebenbei unzweideutig darstellt, trifft sie als erste. Dazu kommen Segregationstendenzen: Mittelstandseltern versuchen ihre Kinder vor Problemschulen zu bewahren, wo jene unterrichtet werden, die keine Wahl haben.
Wo der "Bildungsbericht 2006" "kulturelle Differenzen" entdeckt, herrscht in Wirklichkeit Klassenkampf. Die Verbesserungsvorschläge im Bericht beschränken sich leider auf frühzeitige Sprachförderung für "Ausländer". Das geht nicht nur am Problem vorbei, sondern treibt dessen Kulturalisierung noch voran.

 

Mehr Kommentare