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Finanzhilfe für den Großen Bruder

Mit einer Milliarde Euro jährlich wird die Europäische Union Forschung im Bereich von Überwachungstechnik unterstützen, der Großteil der Gelder kommt dabei Rüstungskonzernen zugute. Das ist das Ergebnis einer britischen Studie, die kürzlich von der britischen Bürgerrechtsvereinigung Statewatch veröffentlicht wurde. Ihr Autor Ben Hayes fasst die Ergebnisse folgendermaßen zusammen: „Ganz nach dem Willen der Rüstungskonzerne entsteht in Europa im Moment ein riesiger ‚sicherheits-industrieller Komplex’.“ Seit 1996 verfolgt Hayes die EU-Politik im Bereich Bürgerrechte, der Migrations- und Sicherheitspolitik. In seiner Studie "Arming Big Brother" lässt sich nun im Detail nachlesen, über welche Institutionen die Industrie ihren Einfluss ausübt.
Eine Schlüsselrolle spielt dabei das European Security Research Programme (ESRP), das nächstes Jahr in Kraft tritt. Das Programm wurde auf Initiative von Rüstungslobbyisten und Verteidigungspolitikern gegründet, die argumentierten, die europäische Industrie werde ansonsten gegenüber den amerikanischen Konzernen wegen der Forschungsförderung der US-Regierung nach dem „Homeland Security Act“ ins Hintertreffen geraten. Das überzeugte die Kommission, die deshalb außerdem ein Beratergremium mit 50 Mitgliedern, darunter 14 Rüstungsfirmen, ins Leben rief. Dieses European Security Research Advisory Board (ESRAB) berät seitdem die Kommission, welche Forschungsprojekte lohnenswert sind. Neben Politikern wie Javier Solana sind auch zahlreiche Vorstände von Rüstungs- und IT-Firmen vertreten – unter anderem der deutsch-französisch-spanische Konzern EADS, Ericsson, Thales, British Aerospace (BAE), Siemens, die italienische Finmeccanica und die Western European Armaments Group (WEAG). Brisant ist, dass ESRAB nicht vom europäischen Parlament kontrolliert wird und es über diese Beschlüsse keine Debatte gab. Hayes: "Es gab weder innerhalb der Kommission, noch im Europäischen Parlament eine ernsthafte Diskussion über die Vorschläge der ESRAB."
Weil die Kommission nicht bis 2007 warten wollte, beschloss sie im September 2004, 65 Millionen Euro für das Programm Preparatory Action for Security Research auszugeben. 24 Projekte wurden bisher unterstützt, davon 17 unter der Führung von Rüstungsfirmen, die beispielsweise neue Überwachungssystemen durch Funkchips und Satteliten oder so genannte „nicht-tödliche Waffen“ entwickeln. So gibt die EU quasi Finanzhilfen an Konzerne, die ihre Aktivitäten in den profitablen Bereich der inneren Sicherheit ausweiten.
Hayes macht dabei einen beunruhigenden Trend aus: spätestens seit den Anschlägen von 11. September 2001 verschwömmen die Grenzen zwischen äußerer Verteidigung (Militär), innerer Sicherheit (Geheimdienste) und Strafverfolgung (Polizei). Drei aktuelle Entwicklungen haben, laut der Studie, den sicherheits-industriellen Komplex entstehen lassen: erstens werden Sicherheitsbehörden und Grenzpolizei mit immer aufwändigerer Technologie ausgestattet, die von den Waffenherstellern produziert wird, zweitens verschmelzen Computertechnologie und Überwachung immer weiter und drittens unterstützen die Nationalregierungen den Bereich Sicherheitstechnologie mit Geld und Grundlagenforschung im Zuge des „Kriegs gegen den Terror“. Führend in Europa ist dabei die britische Regierung. Das Verteidigungsministerium steckte im Jahr 2004 3,8 Milliarden Euro in die Entwicklung von Sicherheitstechnik, das waren 30 Prozent aller Forschungsausgaben insgesamt.