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Privatisierte Gewinne, vergesellschaftete Verluste
Bahnchef Mehdorn will seinen Konzern an die Börse bringen, die Große Koalition und der sozialdemokratische Verkehrsminister unterstützen das Vorhaben. Welche Auswirkung die Privatisierung des Schienenverkehrs haben wird, läßt sich in Großbritannien besichtigen. (JUNGE WELT, 24. 1. 2005)
Schon ab 2008 könnten Aktien der Deutschen Bahn AG (DB) an der Börse gehandelt werden – so das Ergebnis eines Gutachtens, dass das Verkehrsministerium am vergangenen Mittwoch veröffentlichte. Die Unternehmensberater von “Booz, Allen, Hamilton” (BAH) spielen darin fünf verschiedene Modelle für eine Privatisierung durch. Dass diese stattfinden soll, gilt bei allen Parteien im Bundestag (mit Ausnahme der Linkspartei) als ausgemacht. Heftig umstritten ist dagegen, ob der Konzern aufgeteilt oder als ganzes verkauft werden soll. Befürworter der Privatisierung argumentieren, durch mehr Wettbewerb würden die Fahrpreise sinken und der Haushalt entlastet. Ein Blick nach Großbritannien zeigt, dass beide Behauptungen gleich unwahrscheinlich sind.
Obwohl die Staatsbahn British Rail schon 1993, unter der Regierung Margaret Thatchers, in über hundert verschiedene Unternehmen aufgeteilt wurde, warten die Passagiere bis heute auf fallende Preise. Zwar zahlen Pendler für ihre Monats- und Jahreskarten mittlerweile etwas weniger, Einzelkarten werden dagegen immer teurer. Selbst diese Entwicklung ist aber nicht der segensreichen Konkurrenz zu verdanken, sondern staatlicher Regulierung, die seit einigen Jahren eine Obergrenze für die Preise festlegt (Fahrpreise dürfen nur um die Inflationsrate minus 1 Prozent steigen).
Zwischen 1987 und 2000 stiegen die Kosten für Autoverkehr um 82 Prozent, die für Bahnreisen dagegen um 106 Prozent. Kaufkraftbereinigt ist der Trend noch deutlicher: seit 1997 sind die Kosten für Autoverkehr (inklusive der Anschaffung, Unterhaltung, Versicherung und Benzin) um 6 Prozent gefallen, die für Bahnverkehr dagegen um 7 Prozent gestiegen. Trotzdem ist der öffentliche Nahverkehr in einem beklagenswerten Zustand. Das Schienennetz ist seit 1959 um 40 Prozent geschrumpft, auch weil unrentable Strecken stillgelegt wurden. Auf diesem viel kleineren Streckennetz werden heute mehr Passagiere als je zuvor transportiert. Die Züge sind, vor allem zu den Hauptverkehrszeiten und in den urbanen Zentren in Nordengland und London, völlig überfüllt. Auf bestimmten Strecken fallen sie regelmäßig aus, was die Passagiere mit einem beeindruckenden Gleichmut hinnehmen.
Das Verkehrsministerium gab letztes Jahr stolz bekannt, dass “wir bei der Pünktlichkeit fast wieder so gut sind wie vor 2000”. Damals erschütterte ein schweres Zugunglück die britische Öffentlichkeit: damals starben vier Menschen und über 70 wurden verletzt, als ein Zug bei der englischen Kleinstadt Hatfield entgleiste. Später stellte sich heraus, dass der Grund marode Schienen waren. Daraufhin wurden auf vielen Strecken Geschwindigkeitsbegrenzungen eingeführt. Schienen und Signalanlagen gelten als hoffnungslos überaltet; moderne Sicherungsanlagen wie das Automatische Zugschutz–System (ATP) wurden nicht oder nur gegen den passiven Widerstand des Managements auf Druck der Öffentlichkeit eingeführt. Kein Wunder: solche langfristigen Investitionen in Infrastruktur lohnen sich aus Sicht privater Unternehmen nur, wenn ihre Kunden über das Produkt “Sicherheit und Zuverlässigkeit” informiert sind und zu einem anderen Anbieter wechseln können. Beides ist naturgemäß bei der Ware Bahnfahrt kaum der Fall.
Das Fiasko Railtrack
In Deutschland hofft die Regierung auf bis zu 14 Milliarden, wenn die Bahn AG verkauft wird. Solche einmaligen Erlöse können sich langfristig als teure Angelegenheit herausstellen. Denn obwohl zunächst gänzlich privatisiert, kommt die britische Bahn die Steuerzahler heute teuer zu stehen. Besonders Privatisierung des Schienennetzes wurde zum Fiasko. 1997 bekam das Unternehmen Railtrack die Schienentrassen samt der Sicherheits- und Signalanlagen zugeschlagen. Auf ihren Geleisen fuhren die Züge von Privatunternehmen wie “Thameslink”, “Great Western” oder der auch in Deutschland aktive, transnationale Konzern “Connex”. Eigentlich sollte Railtrack als letzter Teil der britischen Eisenbahn in private Hände übergehen. Als aber der konservative Regierung unter John Major 1996 klar wurde, dass sie die anstehenden Parlamentswahlen verlieren würden, gliederten sie eilig das Unternehmen aus.
Ihre Befürchtung, die Labour Party unter Tony Blair würde versuchen, die Bahn wieder unter staatliche Kontrolle zu bringen, erwies sich allerdings als unbegründet. An der Macht verlor der Premierminister sein Interesse an dem Wahlversprechen, die Bahn wieder in öffentlichem Besitz zu bringen. Dennoch konnte auch die von Blair umgestaltete Labour Party die Zustände bei Railtrack nicht ignorieren. Nach dem Unfall in Hatfield ging die Firma bankrott und 2002 in Besitz der halb–staatlichen Network Rail (NR) über. Als 2001 im Parlament über die Zukunft des Schienenverkehrs debattiert wurde, nannte der damalige sozialdemokratische Verkehrsminister Stephen Byers das Unternehmen “ein Beispiel für alles, was bei der Privatisierung schief gelaufen ist: dass die Bürger, die unsere Eisenbahn nutzen, wie eine Unannehmlichkeit behandelt werden, mit denen man die Aktionäre besser nicht behelligt”.
Heute zahlt der britische Staat jährlich etwa 4,5 Milliarden Pfund (6,6 Milliarden Euro) für den Unterhalt der Bahn, mehr denn je. Die englische Transportgewerkschaft RMT schätzt, dass gleichzeitig 800 Millionen Pfund (1,17 Milliarden Euro) an Investoren und Banken ausgeschüttet werden – ein Musterbeispiel dafür, wie Gewinne privatisiert und Verluste der Allgemeinheit aufgehalst werden. Aber diese Erfahrung müssen die Deutschen scheinbar erst selbst machen.
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