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Familientreffen

Götz Aly und KD Wolff streiten über die geteilte Vergangenheit namens "68".
(Junge Welt, 27. Mai 2008)

Im Veranstaltungsraum ist es voll und aufgeregt. Journalist und Historker Götz Aly stellt seine jüngste Veröffentlichung "Unser Kampf" vor, in der kein gutes Haar an den sogenannten 68ern lässt. Verblendet und totalitär seien sie gewesen, keineswegs fortschrittlich, sondern ein Rückfall in deutsche Untugenden. "Unser Kampf" klingt nach "Mein Kampf" - 33 = 68? Damit das nicht unwidersprochen bleibe, ist auch der Frankfurter Verleger KD Wolff gekommen, seinerzeit Vorsitzender des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS). Er fühlt sich von Alys Polemik persönlich angegriffen, kein Wunder: Er wird es. Aly wirkt aggressiv, greift zur Vorwärtsverteidigung gegen ein widerspenstiges Publikum. Auch unter den Besuchern herrscht ein gereizter Ton, die Moderatorin gibt auf, die Diskussion entgleitet... Theaterkrach?
So ging es zu am Mittwoch im Berliner Brecht-Haus. Wer nicht zu den Zeitzeugen gehörte, staunte über das Engagement, mit dem gestritten wurde. Aly, seinerzeit Redakteur der Zeitschrift "Hochschulkampfs" der West-Berliner "Roten Zellen", weiß, dass nur griffige und überraschende Großthesen öffentliche Aufmerksamkeit sichern. Nein, er wolle die 68er nicht mit den Nazis gleichsetzen, versichert er, nur auf das Gemeinsame von SDS und Nationalsozialistischem Studentenbund hinweisen: den antibürgerlichen Affekt, die utopische Zielsetzung und natürlich der teutonische Furor.
In Wirklichkeit sei die Studentenbewegung mit ihren Kapriolen nur der Auseinandersetzung mit den Tätern in den eigenen Familien ausgewichen. Die Geschichte der deutschen 68er reduziert er auf einen Generationenkonflikt: "Statt die familiäre Auseinandersetzung zu führen, stellten sie lieber das >System< in Frage", fasste Aly seine Sicht kürzlich in einem Zeitungsartikel zusammen. "Anstatt sich mit den allgegenwärtigen Spuren des Nationalsozialismus zu beschäftigen, erklärten sie die liberal-demokratische Bundesrepublik für >faschistisch<."
Kein Verdienst will Aly den 68ern lassen. Das führt zur merkwürdigen Volte, dass er diejenigen, gegen die sich die Revolte richtet, in ein besseres Licht rückt: Die Demokratisierung der liberal-demokratischen Bundesrepublik der Kiesingers und Globkes sei längst auf dem Weg gewesen, die Studentenbewegung habe sie sogar verlangsamt. Ohnehin gehöre ihr Glaube, die Welt ließe sich in relativ kurzer Zeit verändern, "auf den Misthaufen der Geschichte". Genüsslich hält er den Dabeigewesenen, die sich heute im Kulturbetrieb und den Hochschulen etabliert, ihre militant klingenden Verlautbarungen von damals vor.
Aber die Teilnahme an der Quizshow "Wer bekennt sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung?" ist freiwillig. So wirkte Wolff regelrecht souverän, als er auf Alys versuchte Anklageerhebung antwortet, selbstverständlich habe man beim SDS Geld für den Vietcong gesammelt. Peinlich ist "Unser Kampf" nur für die, die heute unbedingt nachweisen wollen, dass sie im Herzen immer schon die besseren Demokraten waren.
1968, annus mirabilis. Was immer es historisch bedeutet, für die Anwesenden war es ein oft entscheidender biographischer Einschnitt. Aly wies denn auch betroffen darauf hin, dass nicht alle linksradikalen westdeutschen Akademiker auf den Pfad der Tugend und damit zur bürgerlichen Existenz zurückfinden konnten. Manche hätten sich umgebracht, seien verrückt geworden oder gar aus den Betrieben, in die sie das jeweilige ZK schickte, nie mehr herausgekommen! "Viele schlugen sogar das Erbe der Väter mit Fäusten aus", singt Franz Josef Degenhardt - nicht zu begreifen.
Nicht vor kommen an diesem Abend: die Arbeiterinnen, die Lehrlinge, die revoltierenden Frauen, die Aussteiger, Deserteure und Krawallmacher, die keine Flugblätter verfassten, die Asiaten und Afrikaner, die ihre Hoffnungen auf die antikolonialen Bewegungen richteten. Es geht zu wie beim Familientreffen; man ist sich nah und kann sich trotzdem nicht leiden. Am Ende verabschiedet man sich dann doch artig. Draußen vor der Tür geht die Geschichte weiter Für Aly verläuft sie in Kreisen, nämlich Generationen. Die Söhne rebellieren gegen die Väter, die Jugend bewegt sich, um sich später niederzulassen.