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Workfare Works?


(Erschienen in Konkret, Januar 2005)

So unangenehm Zwangsarbeitsmaßnahmen für die Betroffenen sein mögen, mit ihnen kann der Staat sein Problem der Sozialausgaben letztlich nicht lösen. Ihr Ziel ist ein anderes: Abschreckung und Mobilisierung zur Niedriglohnarbeit.

Die Hartz IV–Gesetze sind in Kraft getreten, Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum einheitlichen ALG II zusammengelegt. Arbeitslose können nun zur gemeinnützigen Arbeit verpflichtet werden, zu so genannten 1 Euro–Jobs. Damit wird in Deutschland das Prinzip ”Wohlfahrtsleistungen (nur) gegen Arbeit”, also Workfare, ausgeweitet. Neu ist weder das Prinzip noch die Praxis – in Berlin beispielsweise wurden im Jahr 2000 über 100 000 Personen zu gemeinnützigen Arbeiten herangezogen. Neu ist der Versuch, Workfare in Deutschland tatsächlich im großen Stil umzusetzen.
Aber was eigentlich tun mit den Jobbern und Jobberinnen, deren Arbeit laut Gesetz ”zusätzlich” sein muss? Die Stadt Frankfurt hat sich etwas ganz besonderes ausgedacht, wie sie ihre Arbeitslosen künftig beschäftigen kann: ein Begleitservice für Geschäftsleute. Der, beispielsweise indische, Geschäftsmann, der sich überlegt, ob er nun in Frankfurt oder lieber doch in Bordeaux investieren soll, wird von dem freundlichen 1 Euro–Jobber am Frankfurter Flughafen abgeholt, ins Hotel begleitet und überhaupt rundum versorgt. Ein Witz? Keineswegs, nur eine von vielen Ideen, welche zusätzlichen Arbeiten die ALG II–Empfänger verrichten könnten. In Hessen sollen bald arbeitslose Lehrer bei Unterrichtsausfall für erkrankte Kollegen mit Festanstellung einspringen. Alice Ströver, Abgeordnete der Berliner Grünen, schlug vor, die Museen in der Hauptstadt rund um die Uhr zu öffnen – betreut von Arbeitslosen auf Nachschicht.
Beim ersten Hinsehen wirkt das ALG II–Wunderland seltsam und fremd. Da lohnt sich der Blick über die deutschen Grenzen.

Etwa auf die Vereinigten Staaten. ”Die Hauptsache ist, ihnen wieder ein gewisses Selbstvertrauen zu vermitteln, damit sie mental bereit sind, erfolgreich zu sein!”, meint Keith Brannock vom New Yorker Arbeitsamt. Er bringt überdurchschnittlich viele Leistungsempfänger in den Beschäftigungsprogrammen unter, die hier vor allem von Wohlfahrtsorganisationen angeboten werden. Zehn Prozent sind es in seinem Bezirk, und darauf ist Brannock stolz, denn der landesweite Durchschnitt lag im vergangenen Jahr bei nur drei Prozent.
Also kommen 97 Prozent um die Zwangsarbeit herum? Tatsächlich wird der quantitative Umfang von Workfare überschätzt. Auf die ganze USA bezogen schätzte der amerikanische Soziologe Michael Wiseman vor drei Jahren, dass nur vier Prozent aller Leistungsempfänger auch wirklich beschäftigt wurden. Sein lakonisches Fazit: ”In Workfare ist nicht viel Work drin.” Jamie Peck, Autor des Buchs Workfare States, bestätigt diese Zahlen. Aber er betont gleichzeitig: ”Das bedeutet nicht, dass Workfare deshalb nicht funktionieren würde. Entscheidend ist der Abschreckungseffekt. Man muss auch nicht jeden Menschen einsperren, damit Gefängnisse ihre Funktion erfüllen.”
Es war die Regierung Clintons, die 1996 mit ihrer Sozialreform ”Sozialhilfe, wie wir sie kennen” beendete. Die Voraussetzungen dieser Reform sind kaum mit den deutschen zu vergleichen. Nur 30 bis 40 Prozent aller Erwerbslosen bezogen überhaupt Arbeitslosengeld. Clintons ”Gesetz zur persönlichen Verantwortung und Arbeitsgelegenheiten” war keineswegs unumstritten. Die schärfsten Kritiker des Programms kamen allerdings nicht aus der Linken, sondern waren bezeichnenderweise marktradikale Libertäre. Sie argumentierten mit den hohen Kosten und stellten Workfare als ersten Schritt zur Verstaatlichung der Arbeitsmärkte dar. Der Staat würde so zum ”Arbeitgeber in letzter Instanz”.
In der Folge wurden Tausende durch harte Sanktionen aus dem Leistungsbezug heraus und in den Niedriglohnsektor hinein gedrängt. Die Zahl der Antragsteller sank drastisch: 1996 waren es noch 12,2 Millionen, 2002 blieben gerade mal 5,3 Millionen übrig. Die in Deutschland gerne zitierte Weisheit, dass es besser sei, Arbeit zu finanzieren als Arbeitslosigkeit, muss für die Betroffenen bitter klingen. Neuere Studien belegen beispielsweise, dass vierzig Prozent der Frauen, die vor fünf Jahren ihr Beschäftigungsprogramm beendeten, leben heute unter der offiziellen Armutsgrenze. Nur ein Viertel von ihnen hat eine dauerhafte Vollzeitstelle. Die working poor fallen aus der Arbeitslosenstatistik heraus, angeblich wurden so die Sozialhaushalte entlastet. Aber Jamie Peck bezweifelt auch das: ”Es ist eine Illusion, dass sich die staatlichen Sozialausgaben so senken lassen. Tatsächlich bezahlt der Staat heute durch das Steuersystem Subventionen auf Niedriglohnarbeitsplätze, die kaum billiger sein dürften.”
Workfare wurde in den USA keineswegs flächendeckend eingeführt. In vielen Bereichen rücken die Gemeinden heute wieder von ihr ab. Denn Workfare selbst ist teuer. Das international bekannt gewordene Modell des Staates Wisconsin, bei dem ohne Arbeitsaufnahme der einen oder anderen Art überhaupt kein Geld zu haben ist, ist nicht nur eines der repressivsten, sondern auch eines der teuersten in den USA. Und obwohl die Fallzahlen in Wisconsin ebenso sanken wie in den übrigen USA, erhöhten sich die Ausgaben der dortigen Sozialämter zwischen 1998 und 2001 sogar.
Die Wohlfahrtsverbände, anfangs begeistert über die billigen Arbeitskräfte, verloren schnell ihren Enthusiasmus, als klar wurde, dass die Erwerbslosen angeleitet und beaufsichtigt werden mussten. Und die Leistungskontrolle und Aufsicht über wenig motivierte, weil kaum bezahlte Arbeitskräfte, kann wiederum nur durch besser Bezahlte geschehen. Zwangsarbeit lohnt sich nicht; sie bedient, wie die amerikanische Soziologin Cynthia Young sagt, ”primär ideologische, nicht wirtschaftliche Interessen”. Young beschäftigt sich seit vielen Jahren mit einem extremen Beispiel: der so genannten Gefängnisindustrie. Der massenhafte Arbeitseinsatz von Gefangenen hat manchen veranlasst, die USA als Gulag–Kapitalismus zu bezeichnen. Aber trotz minimaler Löhne ist die Zwangsarbeit von Gefangenen ein Verlustgeschäft und in aller Regel unproduktiv. Weniger als fünf Prozent aller Gefängnisinsassen in den USA arbeiten, und während die Anzahl der Eingesperrten steigt, fällt der Anteil der Arbeitenden unter ihnen weiter ab.

In Großbritannien wurde Workfare im größeren Umfang von der New Labour–Regierung eingeführt. Begleitet von einer langen Debatte, wie die Arbeitslosen aus der ”Kultur der Abhängigkeit und Untätigkeit” befreit werden könnten, trat im Januar 1998 der Maßnahmenkatalog New Deal in Kraft, begleitet von vollmundigen Ankündigungen der Politiker. ”Wir werden dafür sorgen, dass es Arbeit gibt; nun seid ihr an der Reihe, euren Lebensunterhalt auch zu verdienen”, gab damals Finanzminister Gordon Brown den Arbeitslosen mit auf ihren weiteren Karriereweg.
Die eigentliche Zielgruppe sind arbeitslose Jugendliche, an die sich der New Deal for Young People (NDYP) richtet. Jugendliche unter 25 können niedrige Löhne im ersten Arbeitsmarkt mit bis zu 60 Pfund in der Woche aufbessern lassen. Oberstes Ziel ist hier die Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt; Arbeit im Wohlfahrtsbereichs gilt als letztes Mittel. Diese Programme enthalten wenig Elemente der Qualifizierung und Betreuung, sind also vergleichsweise kostengünstig. Ein junger Londoner, der in einer solchen Qualifizierungsmaßnahme untergebracht wurde, faßte das so zusammen: ”Der New Deal ist ein Skandal. Das ist nur ein Mittel, um uns für sechs Monate aus der Statistik zu kriegen. Und danach kommen die nächsten an die Reihe.”
Auch in Großbritannien ist der Enthusiasmus nach sieben Jahren gedämpft. Zu Hochzeiten waren in den Beschäftigungsprogrammen 141 000 Jugendliche beschäftigt (1999), 2004 waren es nur noch 80 000. Von den Arbeitslosen, die älter als 25 Jahre sind, sind es 55 000. Der englische Soziologe Peter Sunley, dessen Forschungsgebiet Arbeitsmarktpolitik ist, nennt die Erfolge ”bescheiden”: ”Die Regierung hat Glück gehabt, dass zur Zeit der Einführung von New Deal der Arbeitsmarkt ohnehin expandierte. Neue Jobs hat das nicht gebracht.” Auch das Ziel der Regierung Blair, die angeblich nicht aktive Bevölkerung zur Arbeit zu bringen, muss als gescheitert betrachtet werden. ”Die Zahlen der Arbeitslosenstatistiken verbergen, dass es eine gewaltige Steigerung bei den Zahlungen wegen Krankheit und Behinderung gibt”, betont Sunley. Diese Steigerung fand besonders in Gegenden mit überdurchschnittlich hoher Arbeitslosigkeit statt.
Die Programme in den USA und Großbritannien hatten eines gemeinsam: die Anzahl der Empfänger wurde gesenkt, zum Teil drastisch. Es liegt nahe, in diesem Abschreckungseffekt den eigentlichen Sinn der Arbeitsdienste zu sehen. Aber in den USA und Großbritannien expandierte zur Zeit ihrer Einführung – in der zweiten Hälfte der 90er Jahre – der Niedriglohnsektor. So kamen Sozialhilfeempfänger in schlecht bezahlten, unsicheren Arbeitsverhältnissen unter. Wo allerdings gar keine Jobs zu haben waren, wurde Workfare zum Problem. In Glasgow etwa schrumpfte die Zahl der Teilnehmer bei NDYP seit der Einführung um 80 Prozent.

Deutschland 2004: die Kommunen, Wohlfahrtsverbände und Kirchen haben eifrig die Gelegenheit ergriffen, ihre Kosten zu senken. Im Oktober 2004 wurden 46 200 solcher Stellen von der Bundesagentur für Arbeit vermittelt, etwa ein Prozent aller arbeitslos Gemeldeten. Das soll allerdings erst der Anfang sein: Bundesarbeitsminister Wolfgang Clement schätzt, dass bald 14 Prozent der Arbeitslosen in solchen Beschäftigungsverhältnissen untergebracht werden können. 14 Prozent, das wären ungefähr 600 000 1 Euro–Jobs und ein Irrsinn. Multipliziert man diese Zahl mit durchschnittlich 160 Euro für jeden betreuten Arbeitslosen an die Wohlfahrtsverbände, gehen das allein 96 Millionen Euro an die Beschäftigungsgesellschaften – ein kostspieliger Weg, die Arbeitslosenquote um 1,6 Prozent zu senken.
”Aktivierung”, wie es im Reform–Jargon heißt, ist umso teurer, je dichter das Kontrollnetz gespannt wird. Entscheidend ist der administrative Aufwand, den der Staat zu betreiben gewillt ist. In England hatten die Sachbearbeiter laut Plan ganze sieben Minuten für die zweiwöchigen Kontrollgespräche mit einem Arbeitslosen zur Verfügung. Das deutsche Modell ist ambitionierter: früher kamen 1 000 Erwerbslose auf einen Betreuer, bald soll ein ”Fallmanager” nur 150 Erwerbslose betreuen, bei Jugendlichen sogar nur 75.
Als repressives Instrument wird Workfare selektiv, eben zur Abschreckung, angewandt. Aber gerade diese Selektion stellt die Angestellten der Arbeitsagenturen vor die unangenehme Aufgabe, auszuwählen, wen die Maßnahmen treffen. Dabei schätzen sie ein, ob der Arbeitslose tatsächlich arbeitswillig ist, welche Vermittlungschancen er hat usw. Das setzt die Erwerbslosen und ihre ”Fallmananger”, die quantitative Vorgaben über ”Vermittlung” und ”Qualifizierung” zu erfüllen haben, in ein äußerst zweideutiges Verhältnis. Studien in Großbritannien und den USA haben gezeigt, dass Workfare gerade die trifft, die am weitesten von ersten Arbeitsmarkt entfernt sind und über wenig Bildungstitel oder andere Ressourcen verfügen. Ganz allgemein steckt in Workfare für die Sozialplaner ein Dilemma: damit mit ihr gedroht werden kann, muss es entsprechende Zwangsarbeitsplätze geben – sie wirklich annehmen, dürfen die Arbeitslosen nicht. Kein Zufall, dass ihre Verbreitung begleitet war von Diskursen, die den Bezug staatlicher Geldleistungen moralisch stigmatisierten.
Dass die eilige Einführung von Hartz IV Chaos produziert, ist gewollt. Eigentliches Ziel ist, Strukturen aufzubrechen, die im Jargon üblicherweise als ”verkrustet” bezeichnet werden, sprich, in denen sich Menschen notdürftig eingerichtet haben, seien es die Arbeitslosen, seien es die Sachbearbeiter, die doch eigentlich Menschen bearbeiten. Ein Erfolg im Sinne der Regierung kann Hartz IV nur werden, wenn der Abschreckungseffekt greift und viele es vorziehen, sich irgendwie durchzuschlagen statt von der Arbeitsagentur behelligt zu werden.